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Die Freiheit des Wortes und die Unfreiheit des Netzes

Die Netzgemeinde ist verunsichert. Sascha Lobos viel beachteter Blogartikel hat das vor einigen Wochen nur offenkundig gemacht. Auf der gerade zu Ende gegangenen re:publica 13 setzte er noch einen drauf, indem er die Internetszene eine „Hobbylobby ohne politische Verbündete“ nannte (z.B. im Tagesspiegel). Ein c’t Onlinetalk trug kürzlich den Titel „Netzpolitik zwischen Katzenjammer und Aufbruchstimmung“, und Christian Sickendieck fragte neulich auf Google+ provokant: „Wo ist eigentlich dieses freie und offene Internet, von dem alle reden?“ und fasste seine Antwort so zusammen:

Wir haben in den letzten beiden Jahrzehnte den Traum des freien Internets gelebt. Es war eine tolle Zeit. Wenn man aktuell die Entwicklung sieht, muss man konstatieren, dass diese Zeit vorbei ist. Das freie Internet war eine tolle Idee, die positiven Auswirkungen auf unsere Gesellschaft sind noch nicht im Ansatz erfasst. Heute muss man aber sagen: Das freie Internet ist ebenso Geschichte, wie es das Schwarz-Weiß-Fernsehen ist.

Wer hoch steht, kann tief fallen; zu hohe Erwartungen werden umso leichter enttäuscht. Allzu oft wurden die Chancen des Internets, die Utopie der ‚klassenlosen Netzgesellschaft‘ wie ein Evangelium verkündet. Dass dabei wenig Realismus an Board war, konnte dem wohlmeinenden, aber etwas distanzierteren Beobachter zu keiner Zeit verborgen bleiben. „Internetfuzzis“ behalten selten einen kühlen, realpolitischen Kopf – Ausnahmen wie Christoph Kappes („Code für Deutschland„) bestätigen die Regel. Die plötzliche Ernüchterung ist schon etwas überraschend, auch wenn sie an einigen Einzelereignissen als Kristallisationspunkten fest gemacht werden kann (Absturz der Piraten, politische Ohnmacht bei Netzthemen; „Drosselkom“). Das „Klassentreffen“ (Sickendieck) re:publica versuchte dem zwar durch Aufbruchstimmung (z.B. 3D-Druck) entgegen zu wirken, aber wenn man sich das Abschlussvideo anschaut, dann ist es eigentlich absurd, wie in einem Beitrag von 6:40 Minuten null Information transportiert wird (alles war toll, klasse, neu, old school ist lame usw.)  – Was also ist da mit dem Internet passiert?

Das Internet ist erwachsen geworden. Die Spielwiese der Bastler und Tüftler, der Freaks und Nerds, hat sich in einen realen Bereich des Alltagslebens verwandelt. Genau so wie die alltägliche Lebenswelt von Ökonomie und Machtinteressen (und von beidem gemeinsam) beherrscht wird, ist auch das Netz mit seinen Möglichkeiten endgültig Teil der Realwirtschaft geworden: online ist real life. Der quantitativ dominierende Netzverkehr wird heute von professionellen News- und Lifestyle – Portalen, Videos, Sex- und Gaming-Angeboten bestimmt, und natürlich von der sozialen Plattform Facebook und der „Datenkrake“ Google. Blogs, dieses kleine hier ebenso wie die viel bekannteren, viel besuchten, stellen nur eine Randerscheinung dar; an die Reichweite der altbekannten Medien mit ihren Online-Präsenzen (BILD, Spiegel) kommt auch das beste Blog nicht heran, von der Masse der Vielen ganz zu schweigen. Wo es um ökonomische Nutzung geht, gelten die Regeln der Ökonomie: Ein Angebot muss sich rechnen und Gewinn bringen. „Don’t be evil“ war / ist ein wunderbarer Werbe-Slogan, mehr nicht.

Wo es um Macht geht, um Einfluss auf Menschen und Meinungen, da ist die Politik sogleich zur Stelle. Was Wunder, dass sich weltweit Regierungen aller Couleur inzwischen den vorbehaltlosen Zugriff auf die Netzarchitektur und damit auf die Inhalte und Nutzer sichern (in der schier endlosen Reihe der Meldungen dazu nur die letzte von gestern über Indien). Nicht Netzfreiheit, – Netzüberwachung ist das Thema der unmittelbaren Zukunft. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein mögliches Instrument der Freiheit in ein effektives Instrument der Herrschaft, der Unterdrückung und das Ausbeutung verwandelt, um es kurz und plakativ zu sagen. (Auch das US-amerikanische Recht auf Waffenbesitz jedes Bürgers war einmal ein Freiheitsrecht gegen obrigkeitliche Macht). Unter den Zielen Terrorismusbekämpfung, Sicherheit und Gefahrenabwehr lassen sich so gut wie alle nur erdenklichen Methoden fassen, mittels derer im Vergleich zu früher  viel umfassender (big data) und leichter (Zugriffsrecht direkt bei den Providern) Kontrolle ausgeübt und Macht durchgesetzt werden kann. Mit der Forderung nach Transparenz, Privatsphäre und Datenschutz, gewissermaßen nach ‚Bürgerrechten im Internet‘, scheint man mir jetzt schon hoffnungslos auf der Verliererseite zu sein. Derzeit gilt eher: Erlaubt ist, was technisch möglich ist und der Durchsetzung von Macht nützt. Demgegenüber klingen die Versuche eines Netzdiskurses mit den Zielen eines positiven Leitbildes, der Intensivierung digitaler Informationsverarbeitung für mehr Wissen und Kultur (Code für Deutschland) zwar begrüßenswert, aber fast hoffnungslos utopisch.

Heidelberger Tiegeldruckpresse (Wikipedia)
Heidelberger Tiegeldruckpresse (Wikipedia)

Angesichts der aktuellen Entwicklungen des Netzes, nämlich der Zunahme effektiver staatlicher Kontrollmaßnahmen und der Optimierung der privat-ökonomischen Nutzung zur Gewinnmaximierung, ist es schwer, weiterhin an die Freiheit des Netzes zu glauben und auf die emanzipatorischen Möglichkeiten der Ausweitung von Kultur und Wissen zu setzen. Vielleicht gelingt das dennoch entgegen dem Trend, aber wenn, dann wohl nur als Nische, als eine Begleiterscheinung, so wie es der Kultur immer eigen war. Oftmals wird die „Revolution“ der Entwicklung des Internets mit der Erfindung des Buchdrucks verglichen. Ich hielt das schon immer für schief, und heute erst recht. Das Buch hat eine bleibende, unausrottbar emanzipative Funktion: Lesen können und ein Druckwerk ohne weitere Zugriffsmöglichkeit verteilen oder bei sich behalten zu können ist der eigentliche „Kontrollverlust“ der Mächtigen. In Zeiten der Totalüberwachung des Internets dürfte die Drucktechnik erst recht ihren freiheitlichen, subversiven Charakter behalten. Nicht wenn das Internet kontrolliert wird, sondern wenn der Buchdruck verboten wird, erst dann ist es mit der Freiheit des Denkens und Redens vorbei. Internetseiten können gesperrt, eBooks zurück gezogen und Online-Zeitungen vom Netz genommen werden. Vielleicht werden wir uns noch einmal nach dem gedruckten Buch und nach der knisternden (Untergrund-) Zeitung sehnen.

Mein Plädoyer ist also weiterhin für Nüchternheit: Chancen nutzen, auch wenn sie klein sind, Gegenbewegungen („Netzfreiheit“ als heutige Form der „Redefreiheit“) fördern, Netz-Bildung und Bildung im Netz ermöglichen und Datenschutz nachdrücklich anmahnen. Aber zugleich auch: Sich der Totalüberwachung und der Allgegenwart der Netzkontrolle bewusst sein, sich dem entziehen lernen z.B. durch Abschalten (des Smartphones!), der anhaltenden Pflege „analoger“ Strukturen des Wissens und des Meinungsaustausches, nämlich des persönlichen Gesprächs und des gedruckten Wortes. In diesem Wissen liegt Macht.