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News, no information

[Kultur]

Nachrichten sind heute allgegenwärtig. Als „news“ melden sie uns nahezu ununterbrochen Neuigkeiten. Besonders wichtig erachtete Meldungen werden als push news verbreitet. Die Zeit, als es ausreichend war, abends um 20 Uhr die Tagesschau zu sehen, ist lange vorbei. Auch die Tagesschau, immer noch das Symbol einer TV-Nachrichtensendung, gibt es fast im Stundentakt. Online steht sie als tagesschau24 aktualisiert oder als 100-Sekunden Kurzfassung zur Verfügung. Das reicht aber nicht an die Newsticker der Zeitungsportale oder gar an Twitter heran. Nachrichten und Informationen aktueller Ereignisse stehen praktisch instantan zur Verfügung. Da hinken die Tageszeitungen hinterher, wie man sagt. Im Netz allerdings aktualisieren auch sie fortlaufend ihre Meldungsseite. Irgend etwas geschieht immer irgend wo. Online Redaktionen wählen dann jeweils als besonders wichtig Bewertetes für ihre Pushdienste aus.

Pixabay  CC0 Public Domain
Pixabay CC0 Public Domain

Informationen sind noch mehr als Nachrichten. Im Zug erhalten wir auf Displays Informationen üder den Fahrtverlauf, vielleicht über die Geschwindigkeit oder über Anschlüsse. Beim Autofahren halten uns diverse Fahrassistenz-Systeme auf dem Laufenden. Und im Bus oder auf U-Bahnstationen erscheinen die neuesten Nachrichten und natürlich der Wetterbericht auf allgegenwärtigen Bildschirmen. Nur bei den simplen Fahrplananzeigen haperts manchmal. Vor der Wanderung oder Radtour kann man mal eben auf der Wetter-App checken, ob Regenschauer drohen. Wenn das „Internet der Dinge“ Wirklichkeit wird, werden wir mit Apps unterwegs darüber informiert werden, ob zu Hause das Licht aus ist und die Türen und Fenster geschlossen sind und wann wir das Einschalten der Heizung wünschen. Wir stehen erst am Anfang der Informations-Flut.

Information ist „eine Teilmenge an Wissen, die ein Sender einem Empfänger mittels Signalen über ein bestimmtes Medium (auch ‚Informationskanal‘ genannt) vermitteln kann. Information kann ein allgemeines oder spezielles Interesse an Wissen befriedigen – gegebenenfalls zur Verwirklichung eines bestimmten Vorhabens (‚aktionsprägend‘) – oder sie regt nur die Phantasie an. … ‚Information‘ wird zum Beispiel auch synonym für Nachricht, Auskunft, Belehrung, Aufklärung verwendet“, heißt es in der Wikipedia.

Wir leben im Informationszeitalter. Unsere Zeit wird also durch Informationen bestimmt und strukturiert. Ohne Email oder WhatsApp fühlt man sich schnell ‚abgeschaltet‘. Statusmeldungen geben jedem, der es wissen will, Auskunft über das, was man gerade macht oder wo man ist. Facebook ist zumindest unter Jugendlichen das Informationsmedium Nummer eins. Da geht es vor allem um sozialen Kontakt und Austausch – und um Selbstdarstellung. Das wäre ein eigenes Thema.

Wir sind von aktuellen Meldungen abhängig geworden. Das geschieht überwiegend unbewusst, weil man nichts anderes kennt und sich daran gewöhnt hat. Nachrichten, News, gibt es den ganzen Tag. Sie präsentieren, interpretieren und verdichten ein Geschehen, das meilenweit entfernt gerade stattfindet. Das, was da geschieht, ist allerdings oft auch nur wieder eine Nachricht, eine Mitteilung einer einzelnen Quelle. Wenn man Glück hat, ist es ein Augenzeuge, zumindest eine Frau vor Ort. Vielfach verbreitet wirkt diese eine Meldung kurz darauf wie eine Nachrichtenflut. Das wird bei Katastrophen oder wichtigen, das heißt meist kriegerischen oder gewaltsamen Ereignissen, gut deutlich. Überall aktuelle News, aber eigentlich kaum Information. Sind keine wirklichen Neuigkeiten oder neue Tatsachen bekannt, werden alte aktualisiert, auf das neue Ereignis bezogen und damit verbundene Vemutungen angestellt. Dies konnte man täglich bei Nachrichten aus der Ukraine oder aus Syrien / Irak usw. beobachten. Wirklich gesicherte neue Erkenntnisse bieten solche Nachrichten selten, also auch keine wirkliche „Information“, sofern es darin um „Teilmenge des Wissens“ oder um „Aufklärung“ geht. Darum liegt auch die Desinformation so nahe bei der Information. Nachrichten, die nur Meldungen aus anderen (unbekannten) Quellen wiederholen und bestenfalls mit Archiv-Infos und Vermutungen anreichern, wollen ein Geschehen quasi während seines Verlaufes bereits interpretieren und einordnen. Das kann nicht funktionieren. Darum sind so viele scheinbar hoch aktuelle News kaum mehr als breit gestreute Aufmerksamkeitserreger. Über die Sachlichkeit und Sachgemäßkeit der gemeldeten Inhalte ist damit kaum etwas ausgesagt.

BBS News Room
BBC News Room

Weil es in der Natur der Sache der möglichst aktuellen Nachrichten liegt, möglichst instantan, möglichst als erster über ein Ereignis zu berichten (falsch, eigentlich ist es nie ein Bericht, sondern meist nur ein wenig gesicherter Satz, ein News-Happen), darum sind Information und Falsch-Information oder Desinformation so nahe benachbart. Das muss nicht die „böse“ Absicht desjenigen sein, der die Meldung verbreitet. Herrscht bei Twitter oft genug das Motto vor „egal was ist, erstmal raushauen“, so kann man bei Nachrichtenagenturen schon eher vermuten, dass zumindest Quelle und Relevanz genauer bewertet werden. Aber auch dort herrscht die Logik des möglichst schnellen „vor allen anderen“ Dabeiseins. Der Versuch, eine Liste all der aktuellen Nachrichten zu erstellen, die zum Beispiel im Syrienkrieg später relativiert oder durch andere Meldungen praktisch aufgehoben wurden, ist schwierig. Der ausdrückliche Widerruf einer Meldung ist äußerst selten. Die Korrektur von Meldungen geschieht eher beiläufig, und wenn sie die Bedeutung des heiß gemeldeten Ereignisses mindert, dann umso unauffälliger. Die häufigste „Korrektur“ besteht im Stillschweigen über die Sache. Nichts ist so schnell vergessen wie die News von gestern. Nur eines enthalten die vielen News eher weniger: Informationen. Und selbst wenn die gemeldeten Tatsachen sich bestätigen, so ist die aktuell vermutete Relevanz einige Zeit später ganz anders zu bewerten.

Besonders auffällig ist der Umgang mit Nachrichten dann, wenn  wirklich einmal „nichts“ passiert. Durch den ständig erhöhten Aufmerksamkeitspegel gerät nur wirklich „Erschütterndes“ in den Fokus der Wahrnehmung. Schlecht, wenn dann so gar nichts zu melden ist, was durch dieses Rauschen hindurch dringt. Man könnte dann meinen, die Welt stehe still, es gäbe tatsächlich nichts Neues: keine Katastrophe, kein Terrorakt, kein neuer Gewaltexzess, kein  Amoklauf, rein gar nichts. Dass ’nichts‘ passiert, ist natürlich Unsinn, aber die aktuellen Nachrichten bzw. deren Mangel können diesen Eindruck erwecken. Richtig ist aber, dass weiter gebombt und geschossen wird, dass Menschen leiden und auf der Flucht umkommen, dass in irgendwelchen Hinterzimmern neue Pläne für irgend etwas ausgeheckt werden. Das alles ist solange keine Meldung, solange es niemand erfährt, und auch dann solange nicht, wie es die Reizschwelle des Besonderen nicht überschreitet. Gab es vorher zu viele News mit zu wenig Information, so gibt es nun keine News mit null Information.

Der Krieg in der Ost-Ukraine ist im Blick auf die Informationspolitik besonders bemerkenswert, weil er wie vielleicht kaum eine andere kriegerische Auseinandersetzung zuvor auf der Klaviatur von „heißer“ Information und gezielter Desinformation ausgetragen wurde und wird. In anderer Hinsicht gilt das auch für den Feldzug des IS, dessen eine wesentliche Seite die der medialen und informellen Dominanz darstellt. Die Hinrichtungen und Terrorisierungen sind brutalerweise echt, werden aber inszeniert zur medialen Verwertung. Sie gehören zur informationellen Kriegsstrategie dieser Gruppe. Bei aller Schrecklichkeit kann dies als ein neuer Höhepunkt des strategischen Zusammenspiels von Information, Agitation, Desinformation zum Zwecke medialer Dominanz verstanden werden. Es wird gezielt darauf gesetzt, dass sich die erzeugten Bilder in Windeseile im weltweiten Aufmerksamkeitsstrom verbreiten, heraus stechen und sich ins globale Gedächtnis einprägen. Bilder als Informationen erzeugen eine eigene Wirklichkeit. Die Macht des Bildes – das wäre dann ein neues Thema.

Die Flut der Nachrichten, News, Statusmeldungen macht uns tatsächlich kaum „informierter“, kaum „wissender“ kaum „aufgeklärter“. News und Information bekommen ein eigenes Gewicht, einen Drall, bestimmte Wirklichkeiten erst zu erzeugen. Sie machen uns kaum schlauer, oft eher desinformierter. Zumindest unsere eigene Lebenswirklichkeit relativiert die ständig aktuelle Nachrichtenwelt: Man stumpft ab. Oft genug ist das gar nicht verkehrt. Aber bedauerlich daran ist, dass wir heute so viel und leicht wie nie zuvor Zugang zu relevanten Informationen haben können und dass dies viel zu wenig und von viel zu wenigen genutzt wird. Viel zu oft werden Einzelinformationen zu einseitiger Bestätigung vorgefasster Meinungen eingesetzt und verbreitet. Jeder kann heute Sender sein. Die „sozialen“ Kanäle sind voll davon. Dass allein schon die Menge und freie Verfügbarkeit von Informationen im Internet die Gesellschaft freier und mündiger macht, ist ein Gerücht, das sich als pure Illusion erweist. Zu hoffen bleibt, dass nicht das Gegenteil der Fall ist. Um Information und neues Wissen, um kritische Prüfung und Abwägung, um Strukturierung und Perspektive auf Handlungsmöglichkeiten hin muss man sich nämlich selber bemühen: Hintergrundinformationen suchen, Zusammenhänge entdecken. Das macht Arbeit, die Mühe des eigenen Denkens. Daran ändert auch das Informationszeitalter nichts.