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Der Abstand machts

Einige Wochen auf Reisen außer Landes und mit gänzlich anderen Dingen beschäftigt können einiges bewirken. Dank Internet ist man natürlich nicht „aus der Welt“, aber man schaut doch nur gelegentlich auf deutsche Webseiten und soziale Foren. Ist auf einmal gar nicht mehr so interessant und wichtig, weil einen andere, neue Erfahrungen in einer ganz anderen Welt in Beschlag nehmen und das Interesse wecken. Man gewinnt Abstand zu dem, was einen zu Hause doch täglich beschäftigt hat. Das hat einen äußerst positiven Effekt.

Die Nachrichten. Eigentlich interessieren einen „News“ nur noch dann, wenn sie wirklich weltpolitisch wichtig sind, wenn also irgendwo etwas von ein Bedeutung passiert ist. Man merkt sehr schnell: Das ist gar nicht so oft der Fall. Ein Glück übrigens. Man schaut die Nachrichten des jeweiligen Gastlandes, schmunzelt über manches Ungewohnte oder Skurrile – und schaltet auf etwas anderes um. Man wirft einen Blick auf deutsche Nachrichtenseiten im Netz und sieht, dass da eigentlich auch nichts wirklich Neues oder Wichtiges gemeldet wird: Alles immer wieder der bekannte Kram. Wegklicken, ist jetzt egal. Und nach einige Zeit merkt man, dass man gar nicht mehr täglich nach den „News“ geschaut hat. Kann also so wichtig nicht sein. Die Headlines bei irgend welchen Katastrophen oder besonderen politischen Ereignissen (Umsturz! Revolution!) sieht man auch spätestens auf irgendwelchen öffentlichen Bildschirmen. Ich muss sagen, das reicht eigentlich auch.

Ich nehme mir vor, zu Hause öfter mal „nachrichtenfreie“ Tage einzulegen. Man verpasst nämlich gar nichts. Das stelle ich erst recht fest, seit ich wieder in der Heimat bin. Sehe oder lese ich die Nachrichten, dann merke ich überhaupt nicht, dass ich lange Zeit weg war. Es sind immer noch dieselben Themen. Es hat sich kaum etwas bewegt oder verändert. Eigentlich auch gut so. Die tägliche Up-to-date-Hektik mit den neuesten News ist völliger Blödsinn. Entweder es sind keine „News,“ oder es ist nichts Neues. Die News -Agenturen machen News, um jeden Tag Aufmerksamkeit zu erregen. In Wirklichkeit ist da eigentlich oft gar nichts Berichtenswertes. Das zuzugeben wäre freilich katastrophal – für die Nachrichten-Verbreiter. Schließlich leben sie davon. Aber man muss es ihnen ja nicht glauben. Eigentlich auch gut so, dass so viel Wichtiges gar nicht passiert. Oder wenn es wichtig ist, es eben so lange breit getreten wird, dass man das jeweilige Thema (z.B. Euro!) getrost einige Tage oder Wochen ignorieren kann.

Das Internet. Ach ja, und die „sozialen Medien“, also besser gesagt die sozialen Foren im Netz. Facebook, das sieht man in Nordamerika sehr schnell, ist gewiss das meist genutzte soziale Forum überhaupt. Nur darf man dort keine „Diskussionen“ erwarten. Small talk allenfalls. Austausch von Kochrezepten. Verabredungen, Klatsch und Tratsch unter Freunden oder solchen, die sich dafür halten. Bildertausch. Alles ganz nett und manchmal praktisch, aber bestimmt keine „Revolution“. Das gilt auch für das angeblich diskussionsfreudigere Google+. Viele der dort geführten Diskussionen (ich beteilige mich ja selbst gelegentlich daran) sind doch nur bessere Kneipengespräche. Die können ja bisweilen auch ganz ordentlich und auf jeden Fall nett sein. Aber hilft das zu einem „politischen Diskurs“? Dazu gehörte wohl überlegtes, auch Zeit zum Nachdenken einräumendes Diskutieren und begründetes Argumentieren. Also genau das Gegenteil dessen, wofür man soziale Plattformen lobt: „instant“ zu sein. So sind denn viele Threads auch nach dem Motto: Erst die Tastatur, dann (wenn überhaupt) der Kopf. Eher schon der Bauch, das Gefühl. Daraus entstehen diese allfälligen Aufgeregtheiten über alles mögliche angeblich so Netz-Relevante. Urheberrecht. Leistungsschutzrecht. Vorratsdatenspeicherung. Gewiss alles wichtige Themen, da stimme ich zu. Doch vieles, was ich dazu in Foren und Blogs gelesen, ist recht einseitig und oft nur „aufgeregt“, alarmistisch.

Ja, da war doch diese Spitzer-Diskussion letztens. Ich hab davon ein wenig am Rande mit gekriegt. O je. Ein begnadeter Selbstvermarkter mit hohem narzistischen Potential wie Spitzer (man sollte ihn aus Büchern und TV kennen) wirft zugespitzte Thesen auf den Markt, in Buchform natürlich. Er muss sich grün geärgert haben über den verkaufsstrategischen Coup eines Sarrazin. Also wird eins drauf gelegt: Internet macht blöde. Toll. Lässt man all seine provozierenden Nadelstiche weg, bleibt als rationaler Rest: Wer sich ausschließlich mit Spielen und Klicken im Netz beschäftigt, unterfordert seine Intelligenz. Früher hieß das: Wer nur vorm Fernseher sitzt und zappt, verblödet. Na ja, wenn man das so formuliert mit „nur“ und „ausschließlich“, dann ist das eine Trivialität. Also hat Spitzer nur provoziert, um sein Buch nun bestens zu verkaufen. Denn, ich konnte es nicht fassen, die „Internetgemeinde“ fährt drauf ab wie auf einer  ausgelegten Leimrute. Selbst Forenteilnehmer, die ich eigentlich schätzte, regen sich wer weiß wie auf, beteiligen sich am Alarmismus und/oder an der Betroffenheit über die Unverfrorenheit, so einfach das Inter.Nest zu beschmutzen, – und folgen dem Protestgeschrei der Netzfans. Zu wenig Nachdenken, kein Abstand.

Der Abstand aber machts. Er ist gelegentlich heilsam und nötig, um Dinge wieder ins rechte Verhältnis zu setzen, um Blickrichtungen und sachliche Gründe wieder ins Lot zu bringen. Das Internet samt allen Foren, Medien, „instant“ Präsenzen, Informationskanälen usw. ist selbst nur ein Medium, ein Mittel mit großen Möglichkeiten. Man kanns sinnvoll nutzen, man kanns missbrauchen, man kann einfach Blödsinn damit machen. Alles gut, alles ok zu seiner Zeit. Aber das Netz ist keine heilige Kuh, auch dann nicht, wenn sie ein Spitzer durchs (Netz-) Dorf treibt.

Viel weniger ideologisch oder idealistisch befrachtet als hierzulande, dafür aber sehr viel mehr im täglichen praktischen  Gebrauch ist das Netz dort drüben überm großen Teich. Viel Business, viel Kommerz, klar, viele Gadgets, viel Hype um das Neuste und Attraktivste. Man muss einmal einen Apple Store zum Beispiel in Toronto gesehen haben. Da drängen sich viele Junge und Ältere, besonders viele junge Frauen und fassen die tollen Geräte an, prüfen Aussehen und Farbe, obs auch chic ist – und kaufen. (Wo kann man Android – Geräte so „anfassen“?) Ich kenne hiesige Apple Stores. Da gehts eher bedächtig zu. Das nur als Beispiel. Es ist damit dann eher wie beim Autokauf: Muss gut aussehen, man muss damit ein gutes Gefühl haben und man muss tolle Sachen damit machen können. Das ist eine Produktstrategie. Das ist kein Evangelium. Aber das ist es, was man mit dem Internet machen kann. Viel mehr eigentlich nicht.

Der Abstand machts, sich nicht so viel vormachen zu lassen. Ist gut so.