>Berthold Kohlers Leitartikel anlässlich der Vorstellung der Steuerpläne der SPD gestern in der FAZ („Die Besseres Verdienenden“) könnte man fast als einen Hetzartikel bezeichnen. Er spielt mit Vorurteilen, manipuliert Meinungen und stellt das alles noch als seriös dar. Sein Kommentar ist schon starker Tobak.
Wie schon öfter und immer wieder, und obwohl von verschiedener Seite zu Recht kritisiert und korrigiert, suggeriert Kohler eine Identität von den gesellschaftlich „leider“ übel beleumundeten „Reichen“ und den wahren Leistungsträgern unserer Gesellschaft. „Wer „reich“ ist im Reich der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit, der ist erst einmal verdächtig – es sei denn, er ist Showmaster, Fußballstar oder Formel-Eins-Fahrer und zahlt seine Steuern im Ausland. Das tat der Popularität dieses Personenkreises in Deutschland noch nie Abbruch.“ Durchaus richtig verweist Kohler darauf, dass der größte Teil der Einkommenssteuer von den 10 % der wohlhabendsten Steuerzahler aufgebracht werden. Dabei vergisst er aber nicht sich darüber zu mokieren, welche „Vorwürfe“ den Reichen hier gemacht würden – offenbar hält er sie für ungerechtfertigt: „Sie zahlten noch zu wenig Steuern, schlüpften durch alle möglichen Löcher und hätten das Vermögen, von dem sie lebten, meistens gar nicht selbst verdient.“ Statt dessen verweist er auf die „hart arbeitenden“ Unternehmer und (leitenden) Angestellte, auch unter den Mittelständlern, die das Rückgrat der Wirtschaft bildeten: „Doch überdecken die Skandale der Geldgier, dass die große Mehrheit derjenigen, die hierzulande steuertechnisch als „reich“ gelten, hart arbeitende Unternehmer und Angestellte sind, die nicht grundlos vergleichsweise hohe Einkünfte erzielen. Auch wenn mancher Banker ein anderes Bild abgegeben hat: In der Realwirtschaft ist der Verdienst immer noch an Leistung, Verantwortung und Unternehmergeist geknüpft. Die Mittelständler, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden, haften oft mit ihrem gesamten Vermögen für ihr unternehmerisches Handeln, an dem zahllose weitere Arbeitsplätze und Existenzen hängen.“ Infam ist es und offenbar meinungspolitisches Programm Kohlers, die abhängig Beschäftigten als „Leistungsträger“ auszublenden. Wenn etwas an den „alten Klassenkampf“ erinnert („Es müssen wohl Reflexe aus der Zeit des Klassenkampfes sein, die dazu führen, dass die übrigen „Reichen“ in diesem Land ohne großes Zögern mit am Gemeinwohl desinteressierten Kapitalisten und Kuponschneidern gleichgesetzt werden.“), dann Kohlers Sicht der Wirtschaftswelt, die offenbar nur von Unternehmern getragen wird. Von Sozialpartnerschaft ist da keine Rede mehr; sie gilt Kohler und seinen wirtschaftspolitischen Freunden offenbar als überholt. Die Arbeitnehmer kommen als Träger von Leistungen in dieser Art Wirtschaft gar nicht vor – allenfalls als Kostenfaktor. Diese nicht nur konservative, sondern geradezu wirtschafts- und sozialpolitisch reaktionäre Sicht der Dinge ist allein schon tendenziös und skandalös.
Noch auffallender ist es, wie Kohler mit den so ungerechtfertigten „Vorwürfen“ an die Adresse der Wohlhabenden (er nennt sie in negativer Klassenkampfrhetorik nur „die Reichen“) umgeht: nämlich gar nicht; er ignoriert sie einfach. Gibt es denn Steuerflucht in großem Stil nicht wirklich ? Können nicht ausschließlich die Begüterten sich Steuerberater und somit Steuerschlupflöcher leisten – und tun sie es nicht völlig legal? Haben sich denn die Vermögendsten in Deutschland ihr Vermögen wirklich selber erarbeitet? Haben sie sich also tatsächlich das, was sie genießen, selber „verdient“? Genau dies sind doch äußerst berechtigte Fragen – und keine „klassenkämpferischen Vorurteile“. Selbst Wirtschaftsforschungsinstitute (und nicht nur die von Gewerkschaftsseite) bescheinigen dem deutschen Staat ein ungerechtes Steuersystem, das dem Auseinanderklaffen der Einkommenschere noch Vorschub leistet. Den in der Tat sozial ausgleichenden Steuertarifen („stärkere Schultern tragen mehr“) stehen eben noch mehr Ausnahmen für große Einkommen und Firmen sowie die unterschiedliche Besteuerung von Einkommen aus Arbeit und Kapital gegenüber, mal ganz abgesehen davon, dass nur die wirklich Vermögenden es sich leisten können, ihre Gelder einfach mal so mit Mausklick in der Karibik oder in Singapur anzulegen – die Schweiz scheidet ja nun als Schlupfloch für Steuerflüchtige aus. Und der als letztes genannte Punkt, wieweit eigenes Vermögen nur als selbst erarbeitetes legitim ist, bleibt doch tatsächlich die Gretchenfrage. Vielleicht wird anders herum ein Schuh draus: Die exorbitant hohen Einkommen, die es tatsächlich auch in Deutschland gibt, und die das Zigfache des Durschschnittseinkommens betragen, können gar nicht ehrlich verdient sein, das ist einfach unmöglich. Es gibt keinerlei Legitimation dafür, dass die einzelne „Leistung“ z.B. eines Bankmanagers, dessen Tag auch nur 24 Stunden hat, um so viel höher und größer sein kann, wie es seine Einkünfte tatsächlich sind. So viel „verdient“ niemand. Darum geht es ja bei diesen „Löhnen“ auch gar nicht: Es sind Marktprämien für angeblich besondere Talente. Allzu oft entpuppen sich diese Talente aber als ausgesprochene Kapitalvernichter, siehe heute Carol Bartz, Yahoo-Chefin, die fristlos gefeuert wurde. Sie wird ihre Schäfchen schon im Trockenen haben. Noch einmal: Kein Mensch kann durch eigene Leistung so viel verdienen, wie es die heutigen Einkommens- und Vermögensscheren abbilden. Da spielt eben immer auch eine Menge Glück, Ellenbogen, Rücksichtslosigkeit, Machtinstinkt, Übervorteilung, ja auch Betrug und Bestechung eine Rolle. Es sind alles nur normale Menschen, und Deutschland ist keineswegs ein für Korruption unanfälliges Land.
Die Frage wäre also eher, wie sich diese oft unanständig hohen Gewinne und Einkommen für die Allgemeinheit nutzen, also steuerlich abschöpfen lassen. Die Vorschläge der SPD sind aus meiner Sicht sowohl unausgegoren (Vermögenssteuer lohnt erfahrungsgemäß nicht) als auch wenig wirkungsvoll, eher eine PR-Aktion, wenn man nichts Besseres weiß. Aber die Fragen, die dadurch an die Gesellschaft und ihre Politik hinsichtlich der Steuergerechtigkeit und der Sozialpflichtigkeit exorbitant hoher Vermögen gestellt werden, diese Fragen sind goldrichtig. – Kohler hat das wohl im Interesse seines von ihm adressierten Klientels richtig gespürt, sonst hätte er nicht so giftig und unsachlich reagiert. Schwaches Bild eines Chefredakteurs!