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Missing Link

Die Gültigkeit der Aussage „Nichts ohne Gehirn“ und die Eigenständigkeit des geistigen Bereiches („Layer“) innerhalb der einen Wirklichkeit habe ich in den vorigen beiden Beiträgen zu umreißen versucht. Es fehlt noch eine recht entscheidende Überlegung. Es geht um die Frage nach der Verbindung, nach der Bindung oder „Teilhabe“, wie früher gesagt wurde, zwischen der „Welt“ des Mentalen, Geistigen und der Wirklichkeit, wie sie „ist“, wie sie die Naturwissenschaften erfasst. Wie kommt man von dort nach hier und von hier nach dort? Was ist der vermittelnde „link“? Klingt auf dem ersten Blick vielleicht trivial, ist es aber ganz und gar nicht. Der heutige Begriff von Wissenschaft und Erkenntnis ist nicht gründlich genug bedacht, wenn diese Frage übergangen wird.

In einem TV-Beitrag zum Thema „Macht des Unbewussten“ (WDR 09.10.2012) erklärte ein Hirnforscher, es gebe zwar „die Welt da draußen“, nur hätte „ich“ sie noch nie gesehen, denn das einzige, was „ich“ wissen könne, seien die Bilder der Außenwelt, die mir mein Gehirn präsentiere. Ich wisse und erführe also nur, was mir Sinne und Gehirn ‚vorgaukeln‘. Vielleicht ist dieser Neurologe ja ein wenig philosophisch bewandert, dann weiß er auch, dass genau dies die These der klassischen griechischen Skepsis ist, mehr als 2000 Jahre alt. Eines ihrer Hauptargumente beruhte auf der Erfahrung, dass es subjektiv keine Möglichkeit gibt, zwischen einer „echten“ Wahrnehmung und einer Sinnestäuschung zu unterscheiden: Ich bin in meinem Erkennen und Wissen abhängig von dem, was mir die Sinne und das Gedächtnis vermitteln. Was „wirklich“ ist, vermag ich nicht zu erkennen (Pyrrhonische Skepsis). Heute ist es das Gehirn, das mir fast gänzlich unbewusst, aber im Lebensvollzug „transparent“ die Wahrnehmung der Umwelt verarbeitet und aufbereitet. Aus dem Gehäuse meines Kopfes komme „ich“ nicht heraus. Neurale Prozesse konstruieren „meine“ Wirklichkeit.

Die radikale Skepsis hatte schon in der Antike wenige Anhänger, denn allzu offensichtlich spricht die Alltagserfahrung doch dagegen: „Irgendwie“ orientiere ich mich eben doch ganz erfolgreich in der realen Außenwelt. In der Hirnforschung hat sich auch keineswegs Skepsis breit gemacht, sondern nur die Instanz verschoben, die den Kontakt zur Außenwelt vermittelt. Es ist nicht das wache Bewusstsein, sondern vielmehr die unbewusste Steuerung durch Sinneseindrücke und deren erfolgreiche Verarbeitung und Interpretation in den verschiedenen Arealen des Gehirns. Das Bewusstsein in der der Hirnrinde ist nur eines davon.

GPS Satellit im Orbit, Wikipedia

Die Frage ist also weniger, ob oder wie die Welt „draußen“ in mir repräsentiert wird (das geschieht offenbar, und sehr erfolgreich), sondern wie und auf welche Weise es zu einer Übereinstimmung kommt zwischen den geistigen Tätigkeiten, Vermögen,  Konstruktionen und den Realitäten der natürlichen Welt. Denn ebenso offenbar sind die „idealen“ Konstrukte  des Geistes keineswegs deckungsgleich mit ihren Entsprechungen in der tatsächlichen Welt. Den geometrischen Kreis kann ich zwar exakt berechnen, aber nie exakt zeichnen, und er kommt auch in der alltäglichen Welt nie exakt, sondern allenfalls annäherungsweise vor. So waren es gerade die geometrischen und mathematischen Erkenntnisse, die Welt der Zahlen und der Geometrie, die einen Platon zur Beschreibung der „Ideen“ als der „wahren“ Wirklichkeit hinter der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit führten. (Gunter Dueck sieht das etwas zu kurzschlüssig.) Sie schienen doch umso vieles genauer und wirklicher zu sein als alles, was wir sehen und messen  können. Und genau diese Erkenntnis ist dann Ausgangspunkt der enormen Leistungen unserer modernen Naturwissenschaft: die Welt mathematisch zu beschreiben und so zu verstehen und produktiv nutzen zu lernen.

Und jetzt können wir die offene Frage nach der „Verbindung“ genauer stellen: Wie kommt es, dass die mathematischen Produkte unseres Geistes die Welt der Dinge so unglaublich exakt und genau beschreiben können? Ist die natürliche Welt also „zahlenhaft“? Was aber, wenn die Mathematik, wie ein Erwin Schrödinger es formulierte, nur eine hervorragend geeignete Sprache wäre, also ein menschliches Konstrukt, um Naturdinge angemessen zu beschreiben? Wie kommt es dann zu der Übereinstimmung von Denken (in Zahlen) und Wirklichkeit (in Dingen)? Und noch zugespitzter: Finden oder erfinden wir „Naturgesetze“? Sind es überhaupt „Gesetze“ (wer hätte sie denn erlassen oder aufgestellt?) oder nur heuristische Prinzipien? Was ist aber mit der ungeheuren Exaktheit, mit der bestimmte Naturkonstanten (z. B. ‚h‘, ‚c‘, ‚G‘, anders aber ähnlich π) in Zahlenwerten bestimmbar und immer wieder experimentell und mathematisch bestätigt werden? Sind die Formeln und Regeln der Logik (hm, welcher?) nur Operanden unseres Denkens oder sind es Strukturen der Wirklichkeit „da draußen“? Worin besteht der „link“ zwischen den denkerisch erkannten, ‚geistigen‘ Strukturen und der realen, dinglichen Wirklichkeit?

Oder ist die Wirklichkeit doch nur das, zu was unser Erkennen (mit Sinnen und Geist, Hirn und Verstand) sie bestenfalls „machen“, „schaffen“ kann? Leuchtet da Platons Sonne tatsächlich von außen in die Höhle (das war ein Vorschlag für die Lösung des Problems des „missing link“) oder ist die „Sonne“ nur in uns, in unserem mentalen, geistigen Vermögen, womit wir wieder in der gefährlichen Nähe der Skepsis wären? Oder zeigt die Hirnforschung insofern einen Lösungsweg auf, als wir diese Selbstbezüglichkeit anerkennen und nutzen sollten, weil wir aus der „Falle“ der Selbstreferenz niemals heraus kommen können: Das Gehirn betrachtet und befragt das Gehirn, was es als Gehirn leistet und „denkt“? Schließlich sind auch die Erkenntnisse und Interpretationen der Hirnforscher selbst wiederum mentale Leistungen menschlicher Gehirne, – bauzperdauz.

Ich weiß die „Lösung“, sollte es eine geben, natürlich nicht. Ich lasse mich freilich auch nicht damit abspeisen, die Frage sei halt falsch gestellt, so what? Die Frage nach der adäquaten Verbindung, Entsprechung, Teilhabe, wie auch immer man es nennen mag, von „realen“ und „geistigen“ Inhalten bleibt ja bestehen, wenn man genauer hinsieht und weiter denkt. Vielleicht kann man das Problem tatsächlich nur „komplementär“ lösen, dass es eben je nach Ausgangspunkt der Fragestellung unterschiedliche Antwortmodelle geben wird. Dann ist es wie in der Quantenphysik: Es gibt keine „vorstellbare“ Beschreibung, nur eine exakte mathematische Lösung. Und das reicht immerhin, um die tollsten Computer und andere Sachen zu bauen…