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>Protestanten sind Protestanten!

>Protestanten haben von einem Papst nichts zu erwarten, von diesem Benedikt nicht, wohl auch von keinem anderen; er müsste denn aufhören, Papst zu sein.

Allzu leicht wird im sogenannten „ökumenischen Dialog“, also auch auf wohlmeinender römisch-katholischer Seite ebenso wie auf engagierter evangelischer Seite verkannt, dass es zwischen Evangelischen und Katholiken gar nicht ausschließlich und vielleicht nicht einmal in erster Linie um Fragen des Glaubens geht, sondern viel  mehr um Struktur- und Machtfragen, um Fragen der Deutungsmacht in Sachen des Glaubens und Denkens und um Herrschaftsstrukturen innerhalb der Kirche: um Macht über Geldmittel (Kapital) und Seelen (Gewissen). Diese Fragen waren der wesentliche Anlass für die „Protestation“ der evangelischen Stände gegen die erneute Inkraftsetzung des Wormser Edikts (1521) und damit gegen die kompromisslose Durchsetzung des Vormacht- und Herrschaftsanspruchs der katholischen Stände, vor allem der „geistlichen“ Reichsfürsten, im Namen des römischen Papstes und seines Kaisers Karl V. auf dem Reichstag zu Speyer 1529. Von da an wurden die Gegner des Papstes, die sich auf das Evangelium und ihr Gewissen beriefen, „Protestanten“ genannt. Ein guter Name für eine Reformbewegung, deren Wesenskern die fundamentale Neubestimmung der Religion und des Einzelnen in der Neuzeit einleitete.

Der Papst Ratzinger nahm jetzt in Erfurt bei seinem Gespräch mit den Protestanten Bezug auf Luthers Frage, die da laute, „wie steht Gott zu mir, wie stehe ich vor Gott?“. Dies sei eine „brennende Frage“, betonte der Papst, sie „muss wieder neu und gewiss in neuer Form auch unsere Frage werden“. Das war alles. Bernd Buchner von der offiziellen Internetplattform evangelisch.de beschreibt klar und deutlich, „wie die evangelischen Erwartungen enttäuscht wurden“. Nun, viele Erwartungen waren und bleiben einfach eine Illusion. „Der Papst hielt zwei Reden, eine im geschlossenen Kreis, eine in der Öffentlichkeit. In der ersten ging er auf Luther ein, würdigte Luthers lebenslange Suche nach einem gnädigen Gott. Kein Wort aber zur Reformation als solcher, ebenso wenig in der öffentlichen Predigt, in der auch Luther nicht mehr vorkam.“ Und Buchner spricht zu Recht von einer „schallenden Ohrfeige“, die der Papst den protestantischen Gesprächspartnern verpasste: „Mehr noch: Benedikt XVI. ging von sich aus auf das vermeintliche „ökumenische Gastgeschenk“ ein und schmetterte jenen, die auf derlei gehofft hatten, ein klares „Nein“ entgegen. Der Glaube könne nicht auf Kompromissen beruhen, auf der Abwägung von Vor- und Nachteilen. „Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos“, so der Papst.“ Das ist seit Jahrhunderten die Sicht der römischen Kirche, die von „Kirche“ übrigens stets in der Einzahl spricht: Es gibt aus päpstlicher Sicht eben nur eine Kirche, die römisch-katholische. Mag ein Papst auch Luthers Frage nach dem „gnädigen Gott“ würdigen und betonen, wie wichtig doch die lebenslange Suche nach Gott sei, besonders in einer säkularen Welt, so weiß er doch immer schon die Antwort, und sie schwingt in allen Äußerungen eines, dieses Papstes mit: Gefunden wird die Antwort nur „in der Gemeinschaft der Kirche“, sprich im Schoße der römischen Papstkirche. Alles andere, liebe Protestanten, ist eben „ein selbstgemachter Glaube“, sprich Irrtum, Lüge. Da kann es für einen römischen Oberhirten keinen Kompromiss geben, jetzt nicht und in Zukunft nicht. Wer anderes hofft, hängt einer Illusion an.

Luthers theologische Erkenntnisse, die „reformatorische Entdeckung“ im Römerbrief, die unter anderem in der objektiven Gerechtigkeit Gottes gipfelte, nach der Gott seine Rechtfertigung frei und voraussetzungslos schenkt, die der Mensch dann im Glauben nur anerkennen kann, diese Entdeckung ist ja nur die eine Seite Luthers. Die andere große, für Luther viel niederschmetterndere Entdeckung war, dass er den Hauptgegner  der evangelischen Wahrheit, des christlichen Glaubens überhaupt, dass er diesen endzeitlichen Feind, den „Antichrist“, mitten in der Kirche vorfand, auf dem Stuhle Petri sitzend. Der Papst, der Papst, das ist der Antichrist, schrie und schrieb Luther wieder und wieder. Das monarchische Episkopat mit Rom an der Spitze, die bedingungslose Gewalt („Schlüsselgewalt“), die jeder Papst über die Seelen seiner Gläubigen beansprucht, die durchgesetzte Weltherrschaft mittels Geld und Soldaten und ihm willfährigen Kaisern (wie es Karl V. zumindest zeitweise war), – all dies war neben den bekannten „Missständen“ in den Klöstern und bei den sog. Bettelmönchen der Hauptgrund für Martin Luther, sich dem Kampf gegen die „Papstkirche“ zu verschreiben. Es war sehr bald kein Eintreten mehr für eine Kirchenreform, es wurde spätestens ab dem Reichstag zu Worms 1521 ein Kampf um die wahre Kirche, um den rechten Glauben, um die Freiheit der Gewissen und um den Vorrang der Vernunft des Einzelnen vor den autoritären und mächtigen Institutionen wie Papst und Konzil. Hatte Luther noch 1517 beim Thesenanschlag (allerdings in der überlieferten Form wohl nicht historisch gesichert) an ein allgemeines Konzil appelliert, so entdeckte und bekannte er bald, dass auch Konzilien irren können (Leipziger Disputation 1519) und im Falle Johann Hus 1415 in Konstanz auch geirrt hätten. Auf dem Reichstag zu Worms 1521 formulierte er nach den Reichstagsakten so: „„… wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“ Das war nicht nur ein Bruch mit der bisherigen kirchlichen Tradition, das war zugleich die Kampfansage an die verfasste Papstkirche. Genau so wurde seine Erklärung auch richtig verstanden. Und genau dies gilt auch heute noch mit gleicher Deutlichkeit.

Der „Antichrist“ in der Kirche, formulieren wir es weniger chiliastisch, dramatisch: der Widersacher des christlichen Glaubens und eines freien Bekenntnisses mitten in der Kirche – das war ein Schock, für Luther damals, und trotz aller ökumenischen Begeisterung, das gilt auch noch heute. Denn die Papstkirche hat sich keineswegs verändert, eher das Gegenteil ist eingetreten. Seit dem Konzil von Trient (1545 – 1563) ist die Macht der Päpste noch stärker geworden, bekräftigt und ausgebaut. Auf dem 1. Vatikanischen Konzil 1870 ließ Papst Pius IX. Glaubens- und Lehrentscheidungen des römischen Papstes als „unfehlbar“ dogmatisieren. Mittels dieses Dogmas wurde 1950 (!) durch Papst Pius XII. die „leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel“ dekretiert und als unfehlbares Dogma zur Glaubenspflicht aller römisch-katholischen Christen erklärt. Versuche von Papst Johannes XXIII., durch das 2. Vatikanische Konzil (1962 – 1965) den Gedanken einer kollegialen Führung der römischen Kirche neu zu beleben, führten letztlich zu keiner Veränderung. Unter Papst Johannes Paul II. (Wojtyla) und jetzt unter Josef Ratzinger als Papst Benedikt XVI. ist eher wieder eine Stärkung des monarchischen Episkopats und der alleinigen Autorität Roms festzustellen. Der Impuls vom Vatikanum II ist völlig ins Leere gelaufen.

Fragen des Glaubens und der Theologie sind längst nicht mehr „kirchentrennend“: Es gibt innerhalb der protestantischen Theologie ebenso viele Spiel- und Denkarten (von streng-lutherisch bis liberal reformiert) wie auf katholisch-theologischer Seite. Karl Rahner und Hans Küng sind als Theologen oft ebenso „evangelisch“ wie „katholisch“. Sich um die Rechtfertigungslehre zu streiten und um Kompromissformeln zu bemühen wie in der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 (die zudem nie ratifiziert wurde und damit unverbindlich blieb) ist völlig müßig und durch die Zeitläufe überholt. Der „Knackpunkt“ zwischen römischen Katholiken und Protestanten ist und bleibt der Papst: nicht nur das Bischofsamt, sondern dessen monarchisch-autoritäre Form; nicht nur ein Papst als oberster Repräsentant einer Kirche, sondern der Papst als Feudalherrscher über Seelen und Gewissen, mit angemaßter Gewalt über ewigen Frieden und Seligkeit; nicht nur ein Kirchenstaat à la Vatikan, sondern ein multinationaler Konzern („Weltkirche“) mit mafiösen Strukturen und Praktiken, die nahe ans Kriminelle grenzen; nicht nur die Starrheit und Unbelehrbarkeit der römischen Kirchenoberen, sondern deren kriminelle Vertuschung des weltweit verbreiteten Missbrauchs von Kindern und Abhängigen; gerade Letzteres macht die römisch-katholische Kirche zu einer Art „organisierter Kriminalität“ – nicht „rk“, sondern „OK“.

Liest man die große Reportage des SPIEGEL (19.09.1911 Nr. 38: „Der Unbelehrbare“) über das Vordringen des rechts-konservativen Katholizismus und seiner Bischöfe in Ämtern und Positionen hierzulande und weltweit, so kann einem nur das Gruseln kommen. Mag der Artikel auch einseitig sein, so sind die berichteten Fakten eben doch mindestens die eine Seite, bei diesem Ratzinger-Papst sogar die dominierende; es ist halt doch der ehemalige Chef der „Heiligen Inquisition“, neuerdings „Glaubenskongregation“ genannt, der hier Papst geworden ist: der Wolf im Schafspelz.

Es ist gut, dass es gegenüber diesem römischen Machtapparat und seinem vorneuzeitlichen Feudalismus eine große Gruppe von reformatorischen Kirchen gibt, die sich dem religiösen Diktat und Machtanspruch Roms widersetzen, die gegen den Fundamentalismus und die Doktrination, gegen die Gewissensknechtung und die Heuchelei, eben gegen die anti-freiheitliche und anti-moderne Papstkirche eines Ratzingers „protestieren“.

Eben drum: Protestanten sind Protestanten – und das ist auch gut so.