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Euro-Krise und Piraten

Was verbindet die EURO-Krise mit den PIRATEN ? Auf den ersten Blick nichts außer dem zeitlichen Zusammentreffen: Berlin-Wahl mit Piraten-Überraschung und eine seit Monaten andauernde und sich verschärfende Schuldenkrise, die alle Länder des Euroraumes in gefährliches Schlingern bringt. Aber was haben diese fiskalpolitischen Turbulenzen (es ist ja nur in abgeleiteter Weise eine Währungskrise) der Überschuldung einiger Euro-Staaten mit dem plötzlichen Erfolg der Piraten-Partei (in bundesweiten Umfragen derzeit bei 10%) zu tun? Gibt es da eine sachliche Verbindung, einen inneren Zusammenhang?

Ich vermute, sie wird in den Demonstrationen der Occupy-Bewegung vom 15. Oktober ein wenig sichtbar. Das, was die Politiker auf europäischer Ebene derzeit an finanzpolitischer Unübersichtlichkeit, ja Unüberschaubarkeit und Unkontrollierbarkeit erleben, das erleben auf anderer Ebene die Bürger direkt und indirekt genau so. Die Politik selber ist undurchsichtig, unüberschaubar und unzuverlässig geworden. Hat man es bislang einer bestimmten Koalitionsfarbe angelastet, so ist inzwischen rasch deutlich geworden, dass auch alle anderen etablierten Parteien nur mit Wasser kochen und wenig Erhellendes und Erklärendes zu bieten haben. Politiker regierender Parteien wirken wie getrieben. Das war in der Energiepolitik schon so, das war im Frühjahr mit Stuttgart 21 so, das ist jetzt im Fall der horrenden Unkenntnis und Fahrlässigkeit von politisch Verantwortlichen im Falle des Staatstrojaners ganz offensichtlich geworden. Auch das ist ja ein zeitlich zufälliges Zusammentreffen gewesen, die CCC-Enthüllung eine Woche vor dem Occupy-Tag. Aber es passt alles viel zu gut zusammen. Da kann der interessierte und engagierte Bürger sehr leicht zur Einsicht gelangen, dass ihm schon lange nicht die ganze Wahrheit gesagt worden ist, dass nur Enthüllungen das Versagen des Staates aufzeigen können, dass Intransparenz, Schludrigkeit in Sachen Sicherheit und Freiheitsrechten nichts Gutes auch hinsichtlich des Umgang mit finanzpolitischen Maßnahmen verheißt.

Es geht hierzulande nicht so drastisch zu wie in Spanien, Italien oder jetzt ganz besonders in Griechenland mit Massenprotesten und Tumulten. Aber das Empfinden, dass die Wirklichkeit von Wirtschaft und Politik der Steuerung entgleitet, dass also die Politiker faktisch ihren Job nicht mehr leisten können oder wollen, das man sich abhängig fühlt von anonymen Mächten der Banken, der Wall Street, der Investmentbanker, die mit dem berühmten „Mausklick“ über das (finanzielle) Wohl und Wehe ganzer Nationen entscheiden (und dabei die Rating-Agenturen im Schlepptau haben), – dies Empfinden ist doch sehr stark vorhanden und auch gut nachvollziehbar. Anlässlich der unglücklichen Formulierung von Joachim Gauck heisst es in der SZ:

Gaucks Einschätzung teilt auch Thorsten Faas von der Universität Mannheim nicht: „Die Form der Proteste mag zum Teil albern anmuten, aber die Probleme, die dahinterstehen, sind alles andere als albern“. Der Junior-Politikprofessor hat sich unter anderem mit Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und ihren politischen Folgen beschäftigt. Er sagt, das Problem Arbeitslosigkeit und die Angst davor bleibe meist im Unsichtbaren. In diesem Sinne hält er die öffentliche Empörung für „überfällig“.

Und die FAZ schreibt unter der Überschrift „Dann machen es die Bürger eben selbst„:

 Eine Revolution ist die Bewegung nicht. Wohl aber zeigt sich in ihr ein interessanter Strukturwandel. Der Hashtag, der in den „sozialen Netzwerken“ des Internets benutzt wird, um Kommentare und Meldungen einem Thema zuzuordnen, ist ein wirkmächtiges Mittel der Koordination von Kommunikation geworden, das eine andere, bislang zentrale Logik schwächt: die Autorität der Autoren. Inhaltlich diskutiert – oder besser: stetig weiter assoziiert – wird dort, wo der entsprechende Hashtag auftaucht, und nicht mehr nur dort, wo die Medienstars Ton und Takt vorgeben. Die Prinzipien der Schweigespirale verlieren ihre Wirkung.

Hier wird eine erste Verbindung zum Impuls der Piraten sichtbar; der festgestellte Strukturwandel, der an der internationalen Occupy-Bewegung deutlich wird, hat sehr ausdrücklich etwas mit den veränderten Kommunikationsnetzen zu tun, die nicht allein die Techniken des Internets voraussetzen, sondern die durch das rasante Wachstum und Nutzen sozialer Plattformen und Netzwerke erst ermöglicht werden. Und so heißt es weiter in dem (nicht persönlich gezeichneten) FAZ-Artikel:

Diese folgenreiche Verschiebung der Funktionslogik öffentlicher Diskurse erscheint derzeit noch relativ schwach. Sie wird aber auch in Deutschland interessant, gerade für die bestehenden Parteien. Die schon lange an Sinnhaftigkeit verlierenden, zu Wahlterminen ad hoc aktualisierten und für mittelfristige Gültigkeit niedergeschriebenen Parteiprogramme dürften ihren letzten Rest an Bedeutung verlieren. An seine Stelle treten offensichtlich neue Formen der Resonanzerzeugung zwischen Politik und Publikum, die auf andauernder Diskussion beruhen. Der Spagat zwischen der notwendigen institutionellen Schließung der Parteien und ihrer thematischen Offenheit gegenüber dem Publikum wird dadurch nicht geringer, er bekommt jedoch einen neuen Charakter.

Schließlich zieht der Autor eine analytische Schlussfolgerung, die gar nicht so „kühn“ ist, wie er meint, sondern die sich eigentlich sehr nahe legt:

Mit ein wenig analytischer Kühnheit ließe sich Folgendes behaupten: Die „Occupy“-Bewegungen sind kein gewöhnlicher Protest, sondern der Phänotyp eines kommenden Typs politischer Partizipation. Diese bürgerliche Teilhabe orientiert sich zwar noch an bekannten Formen, beruht aber auf völlig neuen Mechanismen. Schon jetzt zeigt sie enormes Mobilisierungspotenial. Vor allem zeichnet sie sich durch eins aus: Sie überwindet die politische Mutlosigkeit.

Und genau damit sind wir beim ureigensten Thema der Piraten. Pavel Mayer schreibt in einem viel beachteten Artikel in der FAZ als Antwort auf Peter Altmaier (CSU):

Da sind zum einen die „Kartelle der Angst“, die sich dem Wandel entgegenstemmen. Es sind mehr oder weniger mächtige Interessengruppen, die Angst vor Veränderung haben. Sie glauben, dass ihre bisherigen wirtschaftlichen und politischen Erfolge sie moralisch dazu berechtigen, die Regeln der neuen Welt bestimmen zu können. Sie wollen weiter erfolgreich und mächtig sein, ohne sich so radikal ändern zu müssen, wie es die neuen Umstände der digitalen Welt erfordern. … Der Einzug der Piraten ins Abgeordnetenhaus von Berlin hat nun so viele Dämme gebrochen, dass die gesamte politische Landschaft in Bewegung geraten ist. Es hat wohl selten eine Kleinpartei gleichzeitig so viel Schrecken und so viel Hoffnung verbreitet.
„Noch mehr Demokratie wagen“
Ich bin gern bereit, dabei zu helfen, das in die Tat umzusetzen. Mehr Transparenz ist nicht zufällig eines der Hauptanliegen der Piratenpartei, sondern nur das konsequente Vorantreiben einer Entwicklung, die seit Jahrhunderten untrennbar mit der Demokratisierung verbunden ist.

Bürgerrechte, Partizipation, Transparenz und ‚mehr Demokratie‘ sind neben dem Thema Netzfreiheit die Signalworte der Piraten in der Öffentlichkeit geworden. Und die Werte und Maßstäbe, die sich darin ausdrücken, passen ja nun fast genauestens zur verdunkelten und undurchsichtigen Lage mit viel Macht-Poker („Merkozy“ las ich heute) in Sachen „Euro-Rettung“. Das finanzpolitische Chaos, das da auf den obersten Ebenen der Europäischen Politik zu herrschen scheint, gleichzeitig die Kaltschnäuzigkeit, mit der oberste Banker ihr eigenes Schäfchen (keine Verlusthaftung, auch nicht bei Griechenland-Bonds) ins Trockene zu bringen suchen, unter Anwendung massiver politischer Pression („systemrelevant“), eine EZB zwischen allen Fronten, ein EFSF, von dem noch keiner weiß, wie er denn aussehen soll, von Risiken und Hebeln, die klein geredet werden (gute Aufklärung dazu hier bei n-tv: „Das Hebelblendwerk„) – all das schreit ja geradezu nach mehr Transparenz, nach klar umrissener Beteiligung von Bürgern und Parlamenten, nach Bürgerrechten und mehr Demokratie gerade auf europäischer Ebene.

Man könnte das noch sehr viel weiter durch deklinieren, vielleicht wäre das sogar gut. Ich mache hier erst einmal einen Punkt. Während des Schreibens dieses Beitrages ist mir immer klarer geworden, wie viel die Euro-Krise, die europäische Schuldenkrise und die dramatische Verschiebung im Politik- und Parteiengefüge hierzulande miteinander zu tun haben. Es wird mir auch klarer, wie viele Chancen in diesem Umbruch liegen, den wir augenblicklich zu erleben scheinen, eben ein ‚Ende der Mutlosigkeit‘. Da bricht etwas Erstarrtes auf, vielleicht auch zusammen. Nein, es sind keine zeitlichen Zufälle! Wie schrieb Pavel  Mayer: „Jetzt gibt es Hoffnung, doch die Lage ist ernst geworden.“