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Das Unvorstellbare denken

„2012 DA14“ – So lautet die astronomische Kennzeichnung des Asteroiden, der Freitag Abend, am 15.02. gegen 20:30 h, in nur 27.500 km Entfernung an der Erde vorbei flog. Dieses Kürzel „2012 DA14“ wird man schnell wieder vergessen haben. Die Aufregung über den über Russland am Ural nieder gegangenen Meteoriten war sogar größer, weil er sichtbaren Schaden angerichtet hat – und weil es so schöne Videos von dem Feuerball auf YouTube gab. Aber ansonsten ist nichts gewesen. Das durch den Maya-Kalender am 21. Dezember vergangenen Jahres angeblich vorausgesagte Weltende hat jedenfalls sehr viel mehr und anhaltender Aufmerksamkeit erregt. Die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, die „Voreinstellung“ unserer Psyche, ist schon sehr merkwürdig. Sie reagiert nur auf einzuordnende, also bekannte Gefahren, die man sieht. Ein mythologischer „Weltuntergang“ à la Maya scheint jedenfalls vertrauter und darum begreifbarer zu sein als der wahrlich gefährliche Vorbeiflug (besser: Beinahe-Kollision) eines Asteroiden, den man sich ohnehin nicht vorstellen und dessen Gefahrenpotential man deswegen auch gar nicht einschätzen kann. Gut, es ist nichts passiert, nur ein paar Fensterscheiben am Ural kaputt, so what?

Wer etwas mehr wissen will, kann in den Medien auf den Wissens-Seiten einiges Informative über die Möglichkeiten der Beobachtung und Abwehr von Meteoriten und Asteroiden erfahren, gut aufgemacht mit allerlei Bildchen und erläuternden Grafiken. Das klingt alles sehr seriös mit Gewährsleuten von NASA und ESA. Ja, rechtzeitig muss man es nur wissen, ja und einigermaßen erkennbar müssen die Dinger sein, das sind dann ohnehin nur größere Objekte, also so ein Klecks wie der über dem Ural, den könne man glatt vergessen, ist vorher nicht zu erkennen, ja dann könne man etwas machen, wenn man so ca. 4 Jahre Vorlaufzeit hat, kein Problem, da tauschen sich die Wissenschaftler und Techniker jetzt international aus, da gibt es ja verschiedenen Szenarien, solch einen Himmelskörper abzulenken und aus der Bahn zu werfen, wie genau wisse man natürlich noch nicht, erprobt sei da gar nichts, manches könne man sich halt vorstellen, dass es funktionieren könnte, Testmöglichkeiten gäbe es dazu ja leider keine, jaja, gleich der Ernstfall, aber der wird schon nicht so schlimm sein, ist äußerst unwahrscheinlich, Wahrscheinlichkeit etwa so groß wie vom Haifisch gebissen zu werden – ach, das passiert oft? Naja, ist eben alles relativ, und manche Ideen mögen nicht viel mehr sein als die „blanke Verzweiflung“ – uups? wie war das? Verzweiflung? Wieso das denn? Ach so, die Dinosaurier…

2012 - DA14
2012 – DA14 (NASA)

Denn das ist nirgendwo klar zu lesen, allenfalls rutscht mal am Ende eines Artikels so etwas raus wie hier im n-tv-Bericht die zitierte „blanke Verzweiflung“: Dass wir eigentlich überhaupt nicht wissen, was wir gegen eine Kollision mit einem Asteroiden machen können, – gegen Meteoriten ist absehbar schon gar nichts möglich: zu viele, zu schnell, zu klein. Wahrscheinlich muss man zugeben, derzeit über keinerlei sichere Mittel bzw. Technologie zu verfügen, um die Erde vor einem Aufprall durch einen Asteroiden von der Größe „2012 DA14“ (50 m Durchmesser) oder mehr bewahren zu können. Schwer zuzugeben: Da ist eine nicht unerhebliche Gefahr, und wir können wahrscheinlich nichts Erfolgversprechendes dagegen unternehmen. Eine solche Erkenntnis, ein solcher Satz ist für unser heutiges (Selbst-) Bewusstsein inakzeptabel, unbegreiflich, schlicht nicht nachzuvollziehen oder gar hinzunehmen. Das kanns nicht geben.

Genau das ist aber sehr problematisch. Menschliches Wissen und Können ist immer begrenzt, schon ganz besonders im Hinblick auf die universalen Kräfte in der Natur. Weil es uns seit der Neuzeit aber so gut gelungen ist, die Kräfte der Natur auf der Erde anscheinend in den Griff zu bekommen, hat sich das Bewusstsein breit gemacht, es gäbe prinzipiell nichts mehr, was nicht mit geeigneten Technologien zu bewältigen wäre. Unmöglich ist verboten. Nicht die Anerkenntnis von Grenzen und Unmöglichem, sondern Lösungen sind gefragt. Es gibt immer welche, sagt man. Dies nenne ich die Hybris der Neuzeit. Sie ist die vielleicht verderblichste Grundeinstellung des heutigen Menschen überhaupt. Verderblich ist wörtlich zu nehmen: weil sie ihn irreparabel ins Verderben führt. Dies gilt auf vielen Gebieten, der Beispiele sind Legion: Klimaveränderung, Umweltverschmutzung insbesondere der Ozeane, Vernichten der Biodiversität sind die Hauptthemen. Änderungswille ist kaum vorhanden, solange es noch irgendwie weiter geht. Typisch ist die vor allem in den USA verbreitete technizistische Auffassung zum Klima: Da wir den CO2-Ausstoß kaum vermindern können, lasst uns lieber höhere Deiche bauen.

Alles ist machbar? Es scheint nur so. Die Erfolge der technologischen Entwicklungen der vergangenen zweihundert Jahre sind so überwältigend, dass eine Grenze menschlicher Verfügungsmacht überhaupt nicht mehr in den Blick genommen wird. Es gibt sie einfach nicht. Was vom neuzeitlichen Bewusstsein nicht als real anerkannt wird, ist nicht. Natürliche Grenzen sind halt nicht „real“, denn alles ist möglich: Om – om – om. Man muss nicht ins Weltall schauen, um die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten zu entdecken. Es reicht der Blick auf die Verhältnisse auf unserem Planeten. Sogar die viel gerühmten und oft beschworenen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters machen davor keinen Halt: Nach Aussagen einiger Fachleute haben wir zum Beispiel die Kontrolle über die selbständig in Hochgeschwindigkeit interagierenden Computersysteme an den Börsen längst verloren; selbst Insider verstehen nicht mehr, was da abläuft (siehe Schirrmacher, Mirowski).

Angesichts der möglichen Kollisionen mit größeren Himmelskörpern sind wir bis auf Weiteres völlig machtlos. Zwar hat die menschliche Kreativität bisher immer wieder Erstaunliches zu Wege gebracht, aber hier geht es um Dimensionen, gegenüber denen die Hiroshima-Bomben Kinderspielzeug waren. Schon 2029 nähert sich ein nächster Asteroid, 2040 ein noch größerer. „Auch nach der Kollision mit einem Asteroiden würde sich die Erde weiterdrehen, und es gäbe noch Leben auf dem Planeten. Doch die Zerstörungen wären mitunter großflächig.“ (n-tv) Dieser Satz ist halbwegs realistisch, klingt aber noch schönfärberisch. Ein Asteroiden-Impact von der Größe und den Zerstörungsausmaßen von Flagstaff, Arizona, würde langfristige Veränderungen des Klimas bewirken – schon die Asche bei Vulkanausbrüchen beeinträchtigt unser modernes Leben erheblich, siehe Eyafjallayökull (2010). Ein Asteroidenaufprall würde mit Gewissheit unser Leben völlig verändern, ganz abgesehen von den unmittelbaren Schäden und Toten. Da bliebe nichts mehr, wie es war.

Alles ist möglich? Ja, – aber eben nicht dem Menschen. Der sollte sich seiner Begrenztheit, gerade auch der Grenzen seines Wissens, seiner Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten immer bewusst bleiben. Das macht nüchtern und trägt dazu bei, sich mehr auf das zu konzentrieren, was wir wirklich erreichen können im Blick auf unseren Planeten. Auch im Hinblick auf die Gefahren aus dem Weltall sind alle Anstrengungen nötig, klar. Aber auch da werden Grenzen bleiben, Grenzen, die wir anerkennen und aussprechen sollten. Das macht uns vielleicht ein bisschen realistischer und bescheidener. Der Rest erledigt sich von alleine.