Im vorigen Blogpost über die Ethik der Tiere ist ein Aspekt denn doch zu kurz gekommen. Bei der Frage nach einer „Würde aller Lebewesen“ habe ich auf die „brutale“ Distanzierung des Menschen vom Tier hingewiesen. Nicht als Objekt sollte das Tier behandelt werden, sondern als Subjekt, als „Mitgeschöpf“, als ‚beseeltes Lebewesen‘ muss es in den Blick einer ethischen Betrachtung genommen werden. Dies gilt nicht nur nach der negativen Seite hin (Tierquälerei, Massentierhaltung), sondern auch nach der positiven Seite: Das Tier als ‚bester Freund des Menschen‘.
Tiere hatten zu allen Zeiten eine ganz besondere Rolle in der Entwicklung und Ausgestaltung der menschlichen Kultur. In den verschiedensten Kulturen und religiösen Kulten spielen „heilige“ Tiere eine ausgezeichnete Rolle. Bei Löwen und Stieren mag man das ja noch leicht verstehen als lebendige Symbole der Kraft, aber erstens ist das, schaut man näher hin, doch nicht so einfach mit der Deutung als simples Kraftsymbol, zweitens tauchen da noch ganz andere Tiere auf: die Schlange, der Affe, bestimmte Vögel, Kühe, Gänse, der Wolf, der Wal, der Reiher – die Reihe ließe sich noch lang fortsetzen. Gemeinsam sind nicht bestimmte, gleichartige Eigenschaften dieser Tiere, sondern ihre besondere Bedeutung. Sie sind Träger des Göttlichen; in ihrer Gleichartigkeit und Unterschiedenheit vom Menschlichen stehen sie für die geheimnisvolle Macht der Götter und Geister, die auf eigentümliche Weise in die Lebenswelt der Menschen hinein wirken und sich dem Menschen zugleich entziehen. Tiere gehören damit zu dem, was den Alltag und die eigene Natur des Menschen transzendiert; bestimmte „heilige“ Tiere haben dafür eine besondere Symbolkraft gewonnen. Symbol ist mehr als bloßes Zeichen: Das Symbol wirkt, wofür es steht. Mir scheint, hier ist das Wissen kondensiert, dass Mensch und Tier zwar besonders zusammen gehören, aber ebenso eigentümlich von einander unterschieden sind, so wie es auch für das Göttliche, die Geister und Ahnen gilt.

In anderer Weise sind Tiere zu lebensnotwendigen Partnern geworden: bei der Jagd, als Wächter, als Last- und Zugtiere, als Hilfen zur Fortbewegung wie Pferde, Kamele, Huskies. Hier ergänzt das Tier mit seinen Fähigkeiten das, was der Mensch nicht so gut oder gar nicht kann. Eine Kulturgeschichte zu schreiben ist ohne eine Geschichte der „Kultivierung“ der Tiere nicht möglich. Erst durch Mechanisierung und Technisierung haben die Tiere ihre wichtige Funktion als Helfer des Menschen weitgehend verloren. Der Mensch hat damit aber auch das lebendige Gegenüber verloren, das ihm seine Grenzen gezeigt und sich mit seinen ganz eigenen Fähigkeiten besondere Wertschätzung, ja Respekt, erworben hat. Heute sind viele Tierarten nur noch auf den „Nutzen“ für die Ernährung des Menschen zusammen geschrumpft. Das ist kulturgeschichtlich eine recht neue Entwicklung, die mit der Industrialisierung zusammen hängt. Sie ist offenbar auch die Ursache für eine massive Veränderung des Verhaltens der Menschen gegenüber den Tieren.
Zu dieser Veränderung gehört auch das Phänomen der Haus- und Lieblingstiere. Tiere als des Menschen bester Freund gab es zu allen Zeiten (der treue Hund, das anhängliche Pferd). Nie zuvor allerdings hat das Tier als Haus-, besser Wohnungstier eine solche Rolle gespielt wie heute bei den Stadtmenschen. Es gibt in Deutschland Millionen von Hunden, Katzen („Stubentiger“), Vögeln, die die Wohnungen bevölkern. Sie sind Teil der Familie und Begleiter im Alter und bei Einsamkeit. Sie sind der Mode unterworfen und gehören bisweilen zu den Statussymbolen. Sie werden geliebt, verhätschelt, – und immer wieder auch vernachlässigt und ausgesetzt. Die Hersteller und Verkäufer von (Haus-) Tiernahrung und Tierartikeln sind eine wichtige Branche geworden, die Tiermedizin nicht zu vergessen. In den städtischen Parks laufen oft mehr Menschen mit Hunden als mit Kindern herum. Bei manchen mag tatsächlich der Hund als „Investition“ besser zu kalkulieren sein als ein Kind. Dies alles zeigt, wie sehr der Mensch sich immer wieder zum Tier hingezogen fühlt, wie sehr er in ihm etwas Gleichartiges erkennen kann. Oft ist hier die Grenze der Vermenschlichung überschritten, und auch dies ist dann ein Fall von Missachtung der Würde des Tieres. Es gibt Beispiele von einseitigen Zucht-„erfolgen“, von Tier-Modenschauen und Wettbewerben, in denen nur scheinbar das Tier, in Wirklichkeit aber „sein“ Mensch im Mittelpunkt steht, der es für sich zugerichtet und vereinnahmt hat.
Man kann also die Würde des Tieres nach beiden Seiten hin verletzen: durch Vergegenständlichung (Tier als Sache) und durch Vermenschlichung (Tier als Ersatzmensch). Die Würde des Tieres ist nur da gewahrt, wo es als Tier, in seiner eigentümlichen Subjektivität, mit seinem Eigensinn und Eigenwillen ernst genommen und respektiert wird. Dann aber kann ein Tier als ein beeindruckendes Mitgeschöpf wahrgenommen werden, das seinen Charakter und seine Sensibilität umso mehr zeigen kann, je mehr nicht nur der Mensch das jeweilige Tier, sondern ebenso sehr das Tier den jeweiligen Menschen als seinen „Partner“ erwählt hat. Wenn dies gelingt, ist es immer wieder überraschend zu sehen, wie sehr das Tier zum besten Freund des Menschen werden kann.
Dies gilt auch in einem letzten Bereich, den ich nur noch erwähnen möchte: nämlich den Bereich der „wilden“, in freier Natur lebenden Tiere. Es ist eine ganz eigene Überlegung wert, inwiefern hier das Tier zum Spiegel für den Menschen wird: Wo kein Tier mehr leben kann, wird es auch mit dem Menschen nicht mehr weit her sein. Umgekehrt gilt aber: Wo kein Mensch mehr leben kann, da können Paradiese für Tiere sein! Die Bedeutung der Tiere für die Ökologie des Menschen wäre also noch einmal ein ganz neues Thema. Aber kehren wir zurück zu unserem Thema, der Würde der Tiere, der Würde aller Lebewesen. Sie gilt es, in einer „Ethik aller Lebewesen“ zu beschreiben und in ihren Konsequenzen für den Alltag aufzuzeigen. Auch der Mensch als „Mitgeschöpf“ kann dabei nur gewinnen.