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Wie wollen wir leben?

Mit der Öffentlichkeit ist das so eine Sache, zumindest mit der Öffentlichkeit in den Medien. Würde man sie als realistischen Spiegel der gegebenen Verhältnisse ansehen, dann entstünde ein merkwürdiger Eindruck. Etwas Verwirrung und Unschlüssigkeit ist da zu erkennen über das, was derzeit „wirklich“ Sache ist, ein Rauschen, das kaum markante Spitzen aufweist. Die „Netzgemeinde“ ist schnell abgehandelt, denn spätestens seit Sascha Lobos kritischem Beitrag ist diese hart auf dem Boden der Tatsachen gelandet und mit Selbstbetrachtungen beschäftigt. Typisch dafür ist auch die Selbstzerlegung der Piraten, die gerade in NRW mit einem neuen Akt in diesem kleinlichen Drama aufwarten. Aber das betrifft inzwischen nur noch einen minimalen Bereich öffentlicher Beachtung und Wahrnehmung.

Dass der Wahlkampf angeblich begonnen hat, merkt man kaum, seit Steinbrück keine unterhaltsamen Beiträge mehr liefert. Von der Regierung hört man eh nichts mehr. Zypern-Krise? Irgendwie kein Aufreger, oder nur ein sehr kurzer wegen der Sparer, aber dass beim Geld nichts mehr undenkbar ist, hatte man auch vorher schon geahnt. Euro-Krise? „Überstanden“, heißt es beruhigend aus Brüssel, auch wenn sich eigentlich nichts wesentlich geändert hat. Die Rezession und damit verbunden Arbeitslosigkeit und Lethargie wachsen in den Ländern Südeuropas. Ob das mit der Lethargie stimmt, weiß ich nicht, das ist nur mein Eindruck aus der „öffentlichen Meinung“, seit in Athen, Nikosia, Lissabon oder Madrid keine Massenproteste mehr vermeldet werden. Aber es würde schon passen, denn in der Not denkt jeder an sich selbst zuerst.

Bei uns im Land scheint die Wirtschaftsentwicklung stabil zu sein mit weiterhin positiven Aussichten. Gute Lohnabschlüsse sorgen in großen Teilen der Bevölkerung für das nötige Kleingeld zur Belebung von Konsum und Reisen. Wenn des Handels größte Sorge der verspätete Frühling ist mit wenig Lust auf Gartenpflanzen, Neuwagen und Sommerklamotten, dann scheint es uns so schlecht nicht zu gehen. Miese Nachrichten findet man wenige, abgesehen von der nicht neuen Klage über steigende Mieten in den attraktiven Ballungsräumen. Selbst die Strompreise treiben niemanden auf die Straße. Über „Armut“ bei uns klagt es sich auch nicht mehr so leicht, seit man sieht, was Armut zum Beispiel in Griechenland aktuell wirklich bedeutet. Also was solls? Ach ja, Korea, irgenwie ein Irrer, leider sehr ernst zu nehmen. – Ansonsten alles gut.

Satellitenantenne (Google)
Satellitenantenne (Google)

Dabei gäbe es genug Dinge, die eines „öffentlichen Diskurses“ bedürften, oder sagen wir es einfacher: über die geredet, diskutiert, gestritten werden sollte. Da sind die Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrisen. Wenn die heiße Phase hektischer Nachtsitzungen erst einmal vorbei zu sein scheint, wäre es doch an der Zeit, sehr ernsthaft nach den Ursachen zu forschen. Viele der schnell geäußerten Gründe sind eher Schuldzuweisungen denn genaues Fragen nach den komplexen Zusammenhängen. Auf Ungleichgewichte der Wirtschaftsräume, auf die Folgen der ’neoliberalen‘ Marktideologie, auf eine aggressive Exportpolitik (ja, damit ist Deutschland gemeint) ist mancherorts schon hingewiesen worden. Dem wäre noch viel genauer nach zu gehen. – Dann ist da das weite Feld der Energieversorgung und der Energiepolitik, die bei uns kaum sachdienlich, sonder sehr ideologisch („öko“ ist per se gut) „veröffentlicht“ wird, – „diskutiert“ kann man das ja kaum nennen. Hier wäre eine wirklich streitige Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit angesagt. Der Strompreis ist nur der eine Aspekt, die Folgen des Klimawandels sind ein anderer. Auch wenn die Prognosen auf prinzipiell unsicheren Modellen beruhen (es können nur Annäherungen sein aufgrund bekannter Daten), ist das Nachdenken und die Diskussion darüber keine Angelegenheit, die man als Modethema mal aufbauschen und dann wieder in der Versenkung verschwinden lassen darf.

Eigentlich geht es bei all diesen Themen um die grundsätzliche Frage, wie wir denn künftig leben wollen, welche Welt wir unseren Kindern bauen und hinterlassen wollen. Einig sind sich eigentlich alle öffentlichen Äußerungen darin, dass wir uns in Zeiten eines rasanten Umbruchs befinden. Es ist ein Umbruch in Wirtschaft, Gesellschaft und Familie, ein Wandel des Verhaltens in Kultur und gegenüber der Um-Welt, ein „Paradigmenwechsel“ der technischen und medizinischen Möglichkeiten, deren Ausmaß noch kaum abzuschätzen ist. Wie wollen wir leben? Wie soll die Welt aussehen, in der wir und unsere Kinder leben wollen und können? Welche Werte können da weiterhin gelten, welche Werte gilt es als verändert zu akzeptieren? Wie gehen wir mit der Tatsache weiträumiger Migration um? Was bedeutet das dichte, spannungsreiche Zusammenleben ganz unterschiedlicher Kulturen (weltweit!) für den Alltag? Wenn es keine Grenzen des technisch Machbaren gibt, wie gehen wir mit den Perspektiven künftiger Entwicklungen zum Beispiel der Veränderung des menschlichen Erbguts um? Es ist keine Frage mehr des Ob, sondern nur noch des Wie. Wissen und Fakten kann man nicht annullieren.

Die Öffentlichkeit scheint das nicht zu interessieren, zumindest die mediale Öffentlichkeit nicht. Aufklärungs- und Informationsbedarf ist genug da. Anschauungsmaterial ebenso; an kundigen und verständlichen Beiträgen aus Wissenschaft und Forschung mangelt es nicht. Ich erlebe es so: Da, wo derartige Themen und Perspektiven artikuliert werden, da sagen die Menschen: „Das ist ja wahnsinnig interessant, da müsste man doch viel mehr drüber erfahren und viel intensiver diskutieren.“ Genau dafür ist die Öffentlichkeit doch da. Die „Wissensgesellschaft“ hat eine einzige Voraussetzung: dass man sie auch am Wissen teil haben lässt, nicht nur in Nischen und elitären Zirkeln. Volker Gerhardt hat mit seinem Vertrauen in die rein „an sich“ gegebene aufklärerische Struktur der Öffentlichkeit eine doch etwas reichlich abgehobene These vertreten. Da ist mehr „Fleisch“ nötig, denn es geht immer auch und zuerst um Interessen und um Macht. Ob die „Netzgemeinde“ ohnmächtig ist oder sich selbst beweint, ist ziemlich gleichgültig. Ganz und gar nicht gleichgültig ist es aber, dass die öffentliche Diskussion der uns und unsere heutige und künftige Welt bewegenden Themen eingefordert wird. Das geht nur, indem immer wieder Fragen gestellt werden, dass zum Beispiel Konzepte der TV-Talks durch Querfragen durchbrochen werden, dass die Möglichkeiten der Kommunikation im Netz weit mehr und besser genutzt werden. Bislang lässt dort oft nur ein neues iPad oder Samsung Galaxy den Erregungspegel steigen. DAS ist entschieden zu wenig, wozu das Netz bisher taugt.

Die Öffentlichkeit hat eine eigene Struktur, die ständig im Wandel ist. Richtig. Die öffentliche Diskussion aber braucht ebenso sehr Sachhaltigkeit und Interesse an gegenseitiger Orientierung. Daran fehlts. Darum klingt das öffentliche Getöse so wirr. Wie wollen wir morgen leben? Darum gehts.

Eine Antwort auf „Wie wollen wir leben?“

Wenn wir wissen wollen, wie wir morgen leben werden, sollten wir unser heutiges Verhalten ins Auge fassen.
Unser sicheres Wissen, daß unsere jetzige Lebensweise konkrete und vorhersehbare Wirkungen entfalten wird, sollten wir nicht mit überflüssigen Diskursen dispensieren. Das ist die Beruhigungspille. Aufmerksamkeit lässt sich zuverlässig hergestellen durch Katastrophen.
Wieviel Diskussionen, politische Theorien sollen noch das Wissen verdunkeln, daß wir bereits mehr wollen als wir können?
Die von von einer Elite in unserer Gesellschaft medial verbreiteten Geschichten stimmen einfach nicht mit dem Handeln überein..
In den heutigen Verhältnissen haben wir keine andere Wahl, als uns von Überraschungsmomenten unseres Handelns kräftig ent-täuschen zu lassen, Wir haben bereits gewählt, wie wir morgen leben wollen. Wir haben entschieden, was wir bereit sind, künftigen Generationen zu hinterlassen.
Jeder kann das wissen, wenn er es wissen will.

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