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Unsicherheit der Supermacht

„Die hemmungslose Beschaffung von Informationen und Wissen ist vermutlich eine Reaktion auf diese Niedergangsängste.“ So schreibt Herfried Münkler in eine beachtenswerten Beitrag für die NZZ über die derzeitige Diskussion hinsichtlich Datensammeln, Abhören und Belauschen, Stichwort #prism, #tempora, #snowden usw. Überschrift: „Imperialer Wissensdurst ist unstillbar“. Die darin eingeflochtenen weltpolitischen Bemerkungen sind aber interessanter als die Beschäftigung mit dem aktuellen „Datenskandal“ (der insofern keiner ist, weil alle Kundigen Bescheid wussten).

Das neue Jahrhundert wurde bisweilen mit der Bemerkung eingeläutet, noch mehr als das 20. können das 21. Jahrhundert zu einem amerikanischen Jahrhundert werden. Das 20. Jahrhundert war ohne Zweifel das erste wirklich amerikanische Jahrhundert, in dem die USA vor allem mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg (Pearl Harbour 1941) und dem anschließenden Kalten Krieg zur Supermacht wurden. 1989 nach dem Zusammenbruch der UdSSR und des Ostblockes meinte man rasch: der einzig verbliebenen. Gute Aussichten der also für das neue Jahrhundert / Jahrtausend?

Es zeigt sich inzwischen zumindest eines: Die USA haben in den letzten Jahren weltpolitisch an Einfluss und Bedeutung verloren. Fast erscheint einem heute der 11. September 2001 als Menetekel, denn der anschließend ausgerufene „war on terror“ (George W. Bush) entpuppte sich mehr und mehr als Fiasko, nicht nur im Irak. Zum (mentalen) Glück für die USA konnte man unter Präsident Obama 2011 wenigstens Bin Ladin „ausschalten“. Aber der Wind in der Welt hat sich weit mehr gedreht, als es viele nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ für möglich hielten.

Washington Capitol (wikimedia.org)
Washington Capitol (wikimedia.org)

Natürlich sind die Vereinigten Staaten auch heute noch die bestimmende Großmacht, Supermacht gar. Aber das ist längst kein Triumph mehr, allzu sehr zerren die Interessen und Machtpotentiale anderer Staaten an diesem Monopol. Der Aufstieg Chinas ist da gewiss ein strategischer, zukunftsträchtiger Faktor. Aber ebenso sind es die vielen kleineren, scheinbar unbedeutenderen Veränderungen, die an der Machtbasis der USA knabbern. Man spricht von den neuen aufstrebenden Mächten mit der Abkürzung der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China). Gelegentlich wird es auch schon zu BRICS erweitert (+ Südafrika). Aber gehört da China überhaupt als gleichwertig hinein? Fehlt nicht der Iran? die Türkei? Sind Europa und Japan de facto abgeschrieben? Letzteres ist wahrscheinlich. Aber die Schwierigkeit der Abkürzungen spiegelt nur die Schwierigkeit, die neuen sich andeutenden Machtverschiebungen und Veränderungen des bisherigen Gleichgewichts zu benennen. Sicher ist nur: Es ist ein sehr wackeliges Gleichgewicht geworden.

Es gibt zu viele Bereiche, die sich mehr und mehr der Beeinflussung durch die US-Politik entziehen: Die Staaten des ehemaligen „Hinterhofs“ in Südamerika, der sog. arabische Frühling, der Komplex Iran-Irak-Syrien mit Russland und China als zusätzlichen Spielern im Hintergrund; der indisch-pazifische Raum mit schwer zu kalkulierenden Staaten wie Indonesien und Indien – wohin steuern die, von China ganz zu schweigen? Das spielt weltpolitisch inzwischen in einer eigenen Liga zwischen den USA und dem Rest. Afrika darf auch nicht mehr als bloßer Rohstofflieferant ausgeblendet werden. Derzeit scheint eher Instabilität der hauptsächliche Exportschlager zu sein.

Die USA haben nach den schweren Schlägen der Finanz- und Wirtschaftskrise, des Verlustes der eigenen Industrialisierung und der Energieabhängigkeit inzwischen überraschend einen „zweiten Wind“ bekommen: Die durch fracking reichlich erschlossenen Energiequellen verschaffen plötzlich die Möglichkeit zu einer gewissen Re-Industrialisierung – und vor allem zu mehr politischer Unabhängigkeit vom arabischen Öl. Es ist also viel zu früh, diese Supermacht abzuschreiben. Aber sie ist verletzlich geworden, nicht nur durch „Überdehnung“ (wie Münkler mit Verweis auf Paul Kennedy zu Recht bemerkt), sondern auch durch Verunsicherung und eine gewisse Verängstigung: Angst vor dem Niedergang, vor dem Kontrollverlust in Sachen Weltpolitik. Mag diese Angst nun reale Gründe haben oder bloß eingebildet sein, sie macht manches Verhalten der USA erklärlich. Verängstigte Raubtiere sind unberechenbar, das dürfte auch für verunsicherte Supermächte gelten. Das massive Schnüffeln und die Datensammelwut kann schon ein plausibles Ventil sein. Es zeigt aber, dass wir womöglich noch viel unsichereren Zeiten entgegen gehen.

Nun kann man nicht grundsätzlich ausschliessen, dass wir es bei den Vereinigten Staaten, in denen alles immer etwas grösser ausfällt, mit habitueller Gigantomanie zu tun haben. Es ist freilich näherliegend, die Art der offenbar global angelegten Überwachung mit der imperialen Rolle und dem entsprechenden Selbstverständnis der «Supermacht» in Verbindung zu bringen. Nach wie vor nämlich sind die USA der Garant der globalen Ordnung; daran haben der Aufstieg Chinas und das Wiedererstarken Russlands nichts geändert. Beide verfolgen bloss ihre jeweils eigenen Interessen. (Münkler)

„Amerika“ ist noch Garant der Weltordnung, ob es uns gefällt oder nicht. Das sollte eine Warnung sein vor allzu forschem Triumphieren, dass man in Europa doch moralisch stets auf der besseren und richtigeren Seite sei. Denn dies stimmt auch – und stimmt bedenklich: Ohne die USA ist Europa nachrichtendienstlich tot und sicherheitspolitisch erledigt. Seien wir also etwas vorsichtiger mit den Schlägen auf den Sack USA, es könnte uns selber härter treffen, als uns lieb ist, und „nachhaltig“ weh tun.