Die Netzszene lässt die Diskussion um #prism, #nsa, #bnd nicht los. Wie zu erwarten hat die übrige mediale Aufmerksamkeit schon wieder nachgelassen, selbst das Sommerloch befördert eher Themen wie Sommerhitze, Sommergewitter, Sommerbaby, äh das britische Königskind. Da noch immer niemand den Namen veröffentlicht hat, könnte man ja mal beim GCHQ nachfragen, was William & Kate da so privat gesprochen haben. Aber das ist im Vereinigten Königreich noch top secret, schon allein wegen der Wettquoten. Zurück zum Sommerloch und der Netz-Entrüstung.
Ohne Zweifel hat das Thema Überwachung, Datenabschöpfung, Geheimdienste, Recht und Gesetz, Freiheit, Sicherheit usw. weiterhin eine öffentliche Diskussion verdient. Eine ernsthafte Aufklärung darüber, was genau die Regierung / die Kanzlerin und nachgeordnete Bundesbehörden, Ämter und Dienste gewusst und /oder verschwiegen haben, steht noch aus. Es ist fraglich, ob diese Aufklärung in den Parlamentsausschüssen noch geleistet wird, denn erstens ist Sommer, zweitens Wahlkampf. Da wird gerne etwas aufgebauscht und instrumentalisiert, sofern dadurch die Regierung in Bedrängnis gebracht werden kann – das ist das gute Recht der Opposition. Die Grundfrage nach dem Vertrauen der Bürger auf Schutz ihrer Privatsphäre, auf freie, unüberwachte Meinungsäußerung, aber auch auf Sicherheit und das dafür nötige Informationsbedürfnis der Geheimdienste, auf das neue Austarieren von „geheim“ und „transparent“, von Sicherheit und Freiheit – diese Diskussion muss sehr gewissenhaft, öffentlich, respektvoll und sachorientiert geführt werden.
In manchen Äußerungen in der Netzszene findet man aber statt dessen einen lodernden Antiamerikanismus, Verschwörungstheorien, Pauschalvorwürfe und Unterstellungen. Ein Beispiel dafür ist der Artikel von Paul Schreyer „Warum werden wir abgehört?“ in Telepolis. Er bietet alle gängigen Muster der Verschwörung (9/11 und Al Qaida unbewiesen usw.), der Unterstellung (Stasi, Stalinismus) und der Abwertung bzw. Verächtlichmachung bestehender demokratischer Kontrolle (hierzulande und in den USA), also auch der Parlamente und parlamentarischen Gremien. „Heimische Eliten“, „Medieneliten“ haben sich der US-„Hegemonialmacht“ angedienert und die eigene Souveränität dem „stalinistischen Regime“ der NSA ausgeliefert. Darum haben wir in Deutschland auch, so das Fazit, keine Demokratie, sondern müssen sie allererst erlangen. Solche abstrusen Ergüsse kennt man von ideologischen Sektierern, aus manchen Äußerungen der Linkspartei (Antiamerikanismus) und überall Verrat witternden Verschwörungsfanatikern.
Dass die Arbeitsweise der parlamentarischen Kontrollorgane verändert und den heutigen Bedingungen von Big Data angepasst werden muss, steht außer Frage. In mancher Hinsicht ist die US-Kontrolle sehr viel schärfer als der zahnlose Tiger unseres Geheimdienstausschusses. Um es unmissverständlich zu sagen: Die durch Snowden angestoßene Diskussion über die Freiheitsbedingungen in einer total digitalisierten und überwachten Welt darf nicht akademisch bleiben, sie muss zu politischen, rechtlichen, international tauglichen Änderungen bzw. Vereinbarungen und vor allem: zu einer anderen Praxis führen. Dass manche Selbstdarstellung der Geheimdienstler allzu arrogant, uneinsichtig und respektlos ist gegenüber der Tatsache, dass Privatheit, Vertrauen, Freiheit und Bürgerrecht akut bedroht sind, ist ebenfalls offenkundig. Dass sich die Bundesregierung mit ihrer bisherigen Informationspolitik auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat – ebenfalls außer Frage. Kritische Diskussion, Forderung nach Öffentlichkeit und Durchsetzung des Rechtes und was es sonst noch an notwendigen Konsequenzen geben muss, sollte nicht dem Sommerloch oder dem Wahlkampf geopfert werden. Es liegt auch an uns, an diesem Thema in der Öffentlichkeit dran zu bleiben.
Es hilft aber überhaupt nicht, dem Überwachungswahn mit einem eifernden Verschwörungswahn zu begegnen. Oft sind beide nur desselben Un-Geistes Kinder.