Zwei Themen sind es, die in den Medien / Blogs / Communities mehr oder weniger nachdrücklich verfolgt werden. Der Springer – Funke – Deal und der Verkauf der „Washington Post“ an Jeff Bezos (Amazon) befördern enthusiastisch zustimmende oder apokalytisch kopfschüttelnde Reaktionen und Voraussagen über das große Zeitungssterben oder eben die digitale Wende / Dividende eines netztauglichen Journalismus.
Don Alphonso (Rainer Meyer) hat dazu heute eine bitterböse Glosse geschrieben: „Internet – Opas erzählen vom Zeitungskrieg“.
Man sieht recht klar, wie sich die Zeitungslandschaft verändert, welche unternehmerischen Reaktionen es gibt (Paywalls bei der BILD („premium“), WELT und NZZ bis hin zu einem offenen hochwertigen Internet-Angebot bei der FAZ und SÜDDEUTSCHEN). Bezos hat nüchtern fest gestellt: „Im Web zahlen die Menschen nicht für Nachrichten, das wird sich auch nicht mehr ändern.“ Wer weiß? Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist die Bewertung dieser Entwicklung. Da gehen die Meinungen weit auseinander, vom völligen Verschwinden der Tageszeitungen bis zur Vision eines neuen Online-Journalismus der Zeitungen im Netz. Zwischen Döpfner (Springer), Bezos, Sixtus schwimmen da die unterschiedlichen Meinungen. Klar ist hier nur so viel, dass noch gar nichts klar ist. So lange die Entwicklung im Fluss ist, sind Prognosen Ratespiele.
Das andere Thema, das immer wieder mit neuen Details in den Vordergrund gerät, ist der massenhaften Datenabgriff durch #NSA, #BND, #GHCQ und andere. Sicherheit und der Schutz der Privatsphäre im Netz stehen auf dem Spiel. Hier ist die Verunsicherung noch größer. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Schnüffeln, Lauschen, Überwachen ist ja nur die eine Seite. Da geht es um die Beachtung und Gewährleistung des nationalen Rechts. Aber das Internet ist nun einmal nicht national, und das Recht gilt allenfalls bei dem unrechtmäßigen Datenzugriff auf die eigenen Bürger.

In der Bewertung gehen auch hier die Meinungen weit auseinander. Einigkeit besteht nur darin, einen Rechtsbruch, so er denn vorliegt, anzuprangern, gerichtlich zu verfolgen und abzustellen. Dass hier grundlegende Freiheitsrechte des Bürgers und Grundrechte unserer Verfassung auf dem Spiel stehen, ist deutlich (siehe vorigen Blogbeitrag zu XKEYSCORE). Darüber aber, wie denn diese Durchsichtigkeit des Einzelnen im Internet zu bewerten ist, gehen die Meinungen auseinander.
Datenspuren müssen nicht nur heimlich aufgezeichnet und verarbeitet werden. Vieles, vielleicht sogar das Meiste über sich selber gibt jeder freiwillig preis, sei es in Onlineshops, Foren oder Communities wie Facebook. Dass die Websuche bei Google Nutzerverhalten auswertet, wird bei zielgenauerer Suche als ein Komfortmerkmal wahr genommen. Nun geht aber die Datenerfassung weit über gezielte Werbung hinaus. Für den, der will und über die Infrastruktur verfügt (Sicherheitsorgane, private Unternehmen) bleibt kaum mehr etwas verborgen. Wir sind gläsern, und unsere Vorlieben sind erkennbar und unser Verhalten ist ziemlich sicher vorhersagbar. Was bedeutet das?
Dazu gibt es grundsätzlich verschiedene Einstellungen. Die einen fühlen sich nackt und entblößt und in ihrer Privatsphäre verletzt – und darum verunsichert und beschämt. Dem Schutz der Privatsphäre wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Wenn es schon staatlichen Organen und dem nationalen Recht nicht gelingen sollte, hier Schutzschranken zu errichten, dann muss der Einzelnen selber Vorsorge treffen. Anonymisierungsdienste und Verschlüsselung sind dann erforderlich, selbst wenn es noch wenig verbreitet und unbequem im Einsatz ist. Hierhin gehört auch das Stichwort der „Datensparsamkeit“ (Evgeny Mozorov) oder Netzenthaltsamkeit.
Andere halten das für überzogen, gar überkandidelt und für die meisten wenig praktikabel. Wahrscheinlich wird sich der Normalnutzer im Netz sowieso weiterhin verhalten wie bisher. Heimlich ausgeforscht zu werden tut ja nicht weh. Oder ist hier doch eine größere Betroffenheitsreaktion zu erwarten, nicht nur von kleinen, sach- und netzkundigen Bürgerrechtskreisen?
Noch andere sehen ganz gelassen etwas Wirklichkeit werden / sein, was sie längst erwartet haben und begrüßen: Das Ende der bürgerlichen, postmodernen Privatheit. Hiernach ist der Netizen die Avantgarde einer neuen Netzpersönlichkeit, die über oder jenseits der Unterscheidung von privat und öffentlich steht. Es ist nicht weniger als die Vision eines neuen Menschen, des homo reticulatus, des netzförmigen Menschen. Hier ergeben sich viele Weiterungen hin auf die Menschmaschine, die schon dem 18. Jahrhundert vorschwebte, oder auf Mensch-Computer-Hybriden eines Ray Kurzweil. Wer leichthin über die Mensch-Maschine-Einheit redet, sollte sich dieses zum Teil totalitären Zusammenhangs bewusst sein. Denn Kennzeichnen dieser Netz-Mensch-Maschine ist die völlige Kontrollierbarkeit.
Der Einzelne gilt nichts, das Netz weiß und kontrolliert alles. Es scheint manchen, wir seien nah dran.
Man könnte meinen, die Diskussion über diese unterschiedlichen Grundeinstellungen würde nun richtig ausbrechen angesichts der Brisanz des Netzes und big data. Doch nichts geschieht. Die Internetszene, gerade in ihren lautstarken und meinungsführenden Verfechtern, hält sich auffällig bedeckt. Das Piraten-Stichwort „Transparenz“ ist aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Diese NSA-Transparenz hatte man wohl nicht im Sinn.
Darum kann man mit gutem Grund fest stellen, dass die allgemeine Verunsicherung gerade in der Netzgemeinde groß ist, größer als in der breiteren Öffentlichkeit. Bisher gab es da viel Spielerisches, Unernstes, nur scheinbar Politisches. Auf einmal hat die Wirklichkeit das schöne Internet mit seinen vielen Möglichkeiten und Spielwiesen eingeholt. Andere haben sich des Netzes bemächtigt. Kann man sich da über die allgemeine Verunsicherung wundern?
Sie sollte uns produktiv und realistisch werden lassen.