>Ein Zeitungsartikel gestern hat mich aufgeschreckt. Verschiedene Blätter berichten von einer Diskussion in der israelischen Militärakademie Itzak Rabin (Tivon) vom 13. Februar dieses Jahres, über die es inzwischen einen Report gibt. Die Schilderung einzelner Soldaten von ihrem Einsatz in Gaza bringt erschreckende Brutalitäten und einen lebensverachtenden Zynismus der Stärkeren, in diesem Falle der israelischen Armee, an den Tag. Willkürliche Erschießungen (die Soldaten nannten Einzelfälle „glatten Mord“, wird berichtet), mutwillige Zerstörungen palästinensischen Eigentums, brutales Auftreten bei der Durchführung von Räumungsbefehlen, das Ganze gepaart mit einer moralischen Unterlegung, man gehöre zu den Guten, die anderen seien alles Teroristen, und man kämpfe einen heiligen Krieg, um die Ungläubigen zu vertreiben. So hätten es Militärrabbiner erklärt. Richtig, das sind keine Islamisten.
Ich bin enrschrocken, entsetzt, und doch auch wieder nicht verwundert. Krieg ist so, egal ob es im Irak (Abu Ghraib), im Sudan (Darfur) oder in Vietnam (My Lai) gewesen ist. Krieg ist eben nur in der Theorie kontrollierte Gewalt. Menschen, denen als Soldaten das Töten anderer Menschen befohlen wird, können sehr schnell die Kontrolle verlieren. Das zeigen alle bekannten Berichte von den unterschiedlichsten Kriegsschauplätzen der Welt und der Geschichte. Grausamkeit gehört zum Krieg. Menschen, die in den Krieg ziehen, sind letztlich unter besonderen Umständen (Druck, Angst, Indoktrination) zu allem bereit. Staaten, die Krieg führen, wissen das. Sie müssen es wissen. Es ist ein hoher Preis, der für Kriegseinsätze zu zahlen ist. Ich spreche da nur von dem moralischen Preis. Eine „Armee mit höchsten ethischen Standards“ (so Verteidungungsminister Barak laut SPIEGEL Online) gibt es offenbar nicht. Ich halte das auch für einen Widerspruch in sich.
Ich bin deswegen kein Pazifist. Ich kann mir leider genügend Situationen vorstellen, in denen ein kriegerischer Einsatz geboten sein kann. Nur wissen muss man dabei: Es wird keine Hand sauber bleiben. Gewalt lässt sich nur sehr mühsam kontrollieren. Menschen, die sich an Gewalttätigkeit gewöhnen, verlieren die Maßstäbe des Zivilen sehr bald. Der Mensch ist so gestrickt, dass das Böse nur um die Ecke liegt und auf Gelegenheit lauert. Es ist eben schwerlich einzuhegen.
„Das Böse“ scheint ein mythologischer Begriff zu sein, erst recht „der Böse“. Es beschreibt aber eine menschliche Wirklichkeit, die schwer zu leugnen ist. Wir möchten es gerne übersehen, verdrängen, ignorieren, denn es ist nicht kontrollierbar, zähmbar, nicht einzuordnen, schon gar nicht zu erklären. Angesichts der Stellungsnahmen zum Amoklauf von Winnenden stellt Thomas Jansen heute in der FAZ (S. 6) fest: „Doch wer sich fragte, ob in dem Amoklauf vielleicht nicht doch auch Grundsätzlicheres zum Vorschein gekommen sein könnte als eine laxe Handhabung der Waffengesetze oder eine Überforderung des Täters durch seine Eltern, etwa das, was Theologen das Böse oder die Sünde nennen, sah sich weitgehend alleingelassen.“ Gerade die Kirchen hüllten sich hier in ein auffälliges Schweigen: „Warum machten Vertreter beider Kirchen nach dem Amoklauf von Winnenden einen solch großen Bogen um den Begriff des Bösen? Weil er für die christliche Botschaft eben doch nicht entscheidend ist? Weil sie den richtigen Zeitpunkt noch nicht für gekommen hielten oder weil sie fürchteten, das Vokabular könne die Menschen abschrecken? Der fehlende Anlass kann es jedenfalls nicht gewesen sein.“
Dasselbe gilt für Exzesse bei Kriegshandlungen. Sie lassen sich offenbar auch niemals vermeiden. Die Betroffenheit anschließend ist immer groß. Dabei könnte man es wissen, man müsste es sogar wissen. Der Mensch ist keineswegs stets nur „edel, hilfreich und gut“ (Goethe). Ich brauche für diese Erkenntnis kein Dogma von der Erbsünde, keine kirchliche Lehre vom Teufel, also keine Mythologie. Ich brauche nur meinen gesunden Menschenverstand und offene Augen und Ohren. Dann sehe ich, dass Menschen Wundervolles leisten und vollbringen, dass Menschen aber auch unerklärlich Schreckliches und Furchtbares tun können. Es können sogar ein und dieselben Menschen sein. Es ist der Mut und die Kunst Jonathan Litells gewesen, dies in seinem Roman „Die Wohlgesinnten“ zu beschreiben. Das noch Erschreckendere ist: Die Möglichkeit zu schlimmster Gewalttat liegt in uns allen verborgen. Es ist auch meine Möglichkeit, auch wenn ich nichts davon ahne. Diese menschliche Grunddimesion thematisiert zu haben ist das bleibende Recht aller religiösen Rede vom Bösen, in welcher Form auch immer. Wenn Kirchen heute vom Bösen schweigen, weil es im Mainstream nicht opportun ist, ist das eher ein Zeichen der Schwäche der Kirchen.
Das Böse in uns und um uns muss uns beschäftigen, auch wenn es unerklärbar bleibt.