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Wohlfeiler Antikapitalismus

Über alte und neue Wenden

Es ist schon merkwürdig, wie sich heute die mediale Öffentlichkeit einig ist in der Kritik des Kapitalismus. Da fallen sich plötzlich konservative Publizisten, antibürgerliche Altmarxisten und globalisierungskritische Aktivisten freudig in die Arme. Die einen haben es sowieso immer schon gewusst, die anderen pflegen ihre moralische Empörung an immer neuen und jeweils aktuellen Beispielen, und die Dritten entdecken auf einmal das unersättliche Raubtier Kapital und die unzähmbare menschliche Gier. Es hagelt Anklagen gegenüber Banken und Börsen, Fonds und Financials, Kapital und Kommerz, Politikern und Parteien. Die Gewerkschaften sind übrigens erstaunlich still und streichen die jüngsten Lohnerhöhungen ein.

Die Stimmung ist schon sehr verändert gegenüber dem ausgehenden 20. Jahrhundert. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Mauer in Berlin war man selten euphorisch und einig darüber, dass das westliche Modell nun endlich und eigentlich zwangsläufig und geschichtlich völlig verdient gewonnen hatte. Endlich hatte auch die kapitalistische Welt ihr feindliches Gegenüber verloren und konnte sich ohne weitere Verbrämung und Bemäntelung ihrem eigentlichen Ziel, der Vermehrung des Kapitals, unangefochten widmen. Wie schön, dass mit dem China Deng Xiao Pings nun auch der letzte rote Riese auf die verlockende Schönheit des Reichwerdens eingeschwenkt war. ‚Capitalism is beautiful‘ könnte man die Devise dieser Jahre nennen. Globalisierungskritiker, die sich unter dem Dach ATTAC sammelten, konnten nur als Störenfriede verlacht werden, die auch noch das letzte Härchen in der Suppe suchten. Die Hinweise auf die fortschreitende Verelendung der Länder Afrikas und die hemmungslose Ausbeutung auch der letzten Ressourcen der Erde spielten im politischen Diskurs nur am Rande eine Rolle, sozusagen als moralisches Gewissen, das ja doch auch damals nicht gänzlich tot zu kriegen war. Die Euphorie reichte ungefähr genau bis zum 11. September 2001…

Und nun: „Occupy Wallstreet“. Wer hätte das gedacht. Demonstrationen in Großstädten der ganzen Welt gegen die Macht der Banken und die Herrschaft des Kapitals. Teufelszeug wie die „Tobin-Steuer“, die immerhin zum Gründungsmythos von ATTAC gehört, wird auf einmal hoffähig und landet als Finanztransaktionssteuer auf der Agenda der Europa-Politiker, ja ist eine Forderung der konservativ-liberalen Bundesregierung geworden. Dem Kapitalismus müssen Fesseln angelegt werden, heißt es nun, die Macht der Banken sei nicht mehr hinnehmbar, „too big to fail“ nicht mehr akzeptabel. Und die ehemalige Sprecherin der „Kommunistischen Plattform“ und heutige stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende der „Linken“ im Bundestag, Sahra Wagenknecht, darf auf dem Treffen der Führungskräfte der Deutschen Wirtschaft, veranstaltet von der Süddeutschen Zeitung, sprechen und ihr neues Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ vorstellen.

Bis dahin war eigentlich alles ganz gut gelaufen für Wagenknecht. Ihre Analyse, dass die Märkte wieder gefesselt werden müssen. Dass es nicht sein kann, dass wenige Menschen immer reicher, immer mehr Menschen immer ärmer werden. Dass der Mittelstand Wohlstandverluste hinnehmen muss. Dass die deutsche Wirtschaft nur auf Kosten geringerer Löhne und Renten wieder ganz laut ihren Exportschlager singen kann. Alles sehen die Unternehmer im Saal ganz ähnlich. Der Satz, der an diesem Abend am häufigsten fällt: „Ich teile ihre Analyse.“

Aha. Die Wirtschaft teilt die kapitalismuskritischen Analysen. Wirklich? Zugleich teilt die einmal so schön versammelte ‚Wirtschaft‘ die Politikerschelte„Politiker sind die größten Vernichter von Unternehmenswerten“. Was will man denn nun eigentlich? Nur in den breiten Chor der Kapitalismuskritiker einstimmen, weil es derzeit in den Medien so schön danach klingt? Über eigene Verantwortung und Fehlentwicklungen wegtäuschen? Geduckt aus der Defensive in die Offensive springen? Jedenfalls möchte man auch in der Wirtschaft nicht immer geprügelt werden – und teilt lieber Prügel aus: gegen die Politiker, gegen die Banken, gegen Brüssel. Kapitalismuskritik ist ‚in‘; Banker-bashing ist hip. Jedoch: Diese Kritik ist billig; sie ist verlogen. Es ist eine wohlfeile Kapitalismuskritik, die sich dem derzeitigen Mainstream öffentlicher Meinung anpasst, mehr anbiedert, möchte man sagen.

Vieles an der so vielfältig vorgebrachten Kritik ist sehr wohl berechtigt, das soll keineswegs bestritten werden, im Gegenteil. Aber dies gilt nicht erst seit 2008, sondern spätestens seit 1989/1990. Fundierte Kritik und realistische Perspektiven der Veränderung sind überfällig. Marktwirtschaft: ok, aber bitte weltweit als „soziale Marktwirtschaft“ eingehegt. Dazu wäre noch viel zu sagen und auch zu streiten und zu tun.

Die andauernde billige und auf Effekthascherei bedachte Bankenschelte und Kapitalismuskritik, die heute üblich geworden ist und in Talkshows gepflegt wird, geht mir allerdings auf die Nerven. Selbst ein „Schirrmacher“ ändert da nichts dran. Die Gier ist Schuld. Das haben wir doch immer schon gewusst. Mein Gott, wie simpel!