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Recht aus dem Lot

Bemerkungen zu Gorleben und Stuttgart

In einem bemerkenswert deutlichen Kommentar hat Jasper von Altenbockum gestern in der FAZ  das eigentümliche Demokratieverständnis der Demonstranten im Wendland und der Grünen-Politikerin  Claudia Roth aufs Korn genommen. Der Polizeieinsatz vor Gorleben sei ein „Anschlag auf die Demokratie“, hatte Roth verkündet, obwohl die Polizei nur Recht und Gesetz durchzusetzen hatte; für die Protestler war sie zum Repressionsorgan des Atomstaats geworden, als wäre unser Staat eine „Quasi-Diktatur“. Da werden die Wertmaßstäbe völlig verkehrt. Ähnlich geschah es in der Protestbewegung gegen Stuttgart 21.

Die Demokratie, die Frau Roth meint, wurde am Sonntag in Stuttgart und Umgebung durch eine Volksabstimmung in ihre Schranken gewiesen. Dort hatte es eine Minderheit nach Jahren vergeblicher Anläufe nahezu fertiggebracht, der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen. Das sieht sie natürlich anders, weil es im Reich der Wendlanddemokraten – ob in Stuttgart oder Gorleben – nicht um Mehrheit oder Minderheit, sondern um die Wahrheit geht, und zwar die Wahrheit nicht der Gegenwart, sondern der vollendeten Zukunft. Dafür nahmen selbst Bahnhofsgegner ein Widerstandsrecht in Anspruch, das so tut, als durchschaue die Mehrheit nicht, wie sie belogen und betrogen wird.

Man kann es auch noch deutlicher sagen. Gegen den Castor-Transport gab es keineswegs nur „friedliche“ Demonstrationen, sondern massiven Gewalteinsatz der Protestierer. Blockieren ist eben nicht dasselbe wie ein Plakat hoch halten. Es fehlt da eine neue juristische Bewertung dieser Formen des sogenannten „Protestes“, der mit einer massiven Verhinderungsstrategie antritt. Wer blockiert, wer dazu sogar noch schwere materielle Hilfsmittel (Beton-Pyramiden) einsetzt, das Gleisbett zerstört („schottern“ = ein krimineller Akt) oder den Verkehr auf Schiene oder Straße absichtlich behindert, ja unter massivem Einsatz des eigenen Körpers zu unterbinden sucht, der ist kein Protestierer, sondern ein Gewalttäter. Der Einsatz der trägen Masse des eigenen Körpers kann in diesem konkreten Fall durchaus als Gewalt verstanden werden – nur gegenüber den Blockierern geschieht das nicht. Hier ist etwas an unserer Rechtsordnung aus dem Lot geraten. Es ist offenbar reine Angst des Staates vor den linken Populisten, hier endlich eine neue juristische Bewertung herbei zu führen (konsequente Strafverfolgung; Inkaufnahme von Klageerhebung).

Auch die Volksabstimmung in Baden-Württemberg ist aus rechtsstaatlicher Sicht zumindest zweifelhaft; hätte das Ausstiegsgesetz eine Mehrheit gefunden, wären Rechtsstreitigkeiten darüber entstanden, ob ein solches Gesetz überhaupt verfassungskonform ist. Dies wurde im Vorfeld zumindest in Frage gestellt. Letztlich hat hier der Druck der Straße, der zugleich der massive Druck einer radikalisierten Minderheit war, ein bis dahin rechtsstaatliches Verfahren zum Neubau des Stuttgarter Bahnhofs ausgehebelt. Ob dies jetzt als Triumph der Demokratie gelten kann, darf bezweifelt werden. Eher das Gegenteil scheint zuzutreffen. Wenn es künftig (weil es ja so erfolgreich ist) öfter passiert, dass nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu Stande gekommene Legalität durch Druck einer lautstarken Minorität unglaubwürdig gemacht und aufgehoben wird, dann ist das ein Armutszeugnis für die Demokratie. Heiner Geisslers ‚Moderation‘ hatte nur den Schein des Demokratischen: Die demokratische, parlamentarisch begründete Legalität wurde in diesem Falle zu Grabe getragen.

Nachtrag am 30. November:

Günther Nonnenmacher kommentiert in der FAZ im Blick auf Stuttgart 21 in ähnlicher Richtung, gut begründet und formuliert.