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Chancen der Freiheit

Das Zaubermittel für Frieden und Freiheit sind eine freiheitliche Verfassung und ein an Menschenrechte gebundener Rechtsstaat.

Man könnte ins Träumen kommen. Nie zuvor hatte die Menschheit solche Möglichkeiten zur Freiheit wie heute. Die Reichtümer dieser Welt sind unglaublich – nur mit der Verteilung hapert es. Setzt da nicht der alte Traum an, jeden nach seinen Bedürfnissen zu behandeln unabhängig von Stand, Veranlagung und Leistung? In dieser Richtung denken die Verfechter des „Bedingungslosen Grundeinkommens“. Von wenigen Beispielen abgesehen (Finnland) beschränken sich die meisten Modelle auf eine unbürokratische Zusammenfassung schon bestehender sozialer Leistungen – für alle. Das liefe auf ein gratis ‚Hartz IV+‘ hinaus. Ganz abgesehen von den schwierigen Finanzierungsfragen ist das wohl kaum die Erfüllung des Traums vom glücklichen Leben in Wohlstand und Freiheit. Unter den bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen erscheint selbst dies kaum machbar.

Aber muss man nicht viel grundsätzlicher ansetzen? Ist der globale Finanzkapitalismus nicht längst an sein selbstzerstörerisches Ende gekommen? Fast das gesamte Kapital in den Händen einer klitzekleinen Oberschicht in der Welt? Die Finanzoligarchen als die wahren Machthaber des globalen Kapitalismus? Erkauft durch Umweltzerstörung, Klimaveränderung, Artenvernichtung, Meeresverseuchung, Vertreibung Alteingesessener, kultureller Vernichtung, Zerstörung der letzten freien Nischen auf der Welt – und durch Leistungsdruck, Arbeitsverdichtung, Lohndumping, Konkurrenzkampf, Zivilisationskrankheiten, Krieg um Ressourcen, Terrorismus, Fanatismus, Flüchtlingselend, Verlust der Heimat, Migration? Navid Kermani hat jüngst in einem Gastbeitrag für die FAZ sehr klar beschrieben, wie trotz gänzlich verschiedener Probleme und Bereiche doch alles mit allem zusammenhängt und uns derzeit in Angst und Schrecken versetzt. Was also können wir tun?

Die Zeit ist reif für eine grundstürzende Revolution, mögen manche denken. Die „Transformation einer Ära“, die Veränderungen unserer Epoche drohen sonst sowieso in ein Desaster globalen Ausmaßes zu münden. Umbrüche der Zeiten wurden oft von Revolutionen begleitet, 1789, 1848 – ja und 1914. Da wurde es allerdings katastrophal. Auch haben nicht der Sturm auf die Bastille und die Jakobiner die bürgerlichen Freiheiten durchgesetzt, sondern letztlich der Code Napoléon. Weit mehr als der Aufbruch von 1848 haben später in Preußen Verfassung und Sozialgesetzgebung bewirkt. Die Transformation vom kriegslüsternen Kaiserreich in die erste deutsche Republik hat die Weimarer Verfassung umgesetzt. Und – noch erstaunlicher: Die völlige Zerstörung Deutschlands nach dem nationalsozialistischen Wahn und den Nazi-Verbrechen war letztlich die Voraussetzung dafür, dass Deutschland 1949 mit dem durch die Siegermächte geförderten Grundgesetz die freiheitlichste Verfassung bekam, die es je in deutschen Landen gegeben hat.

Grundgesetz
Grundgesetz unterschrieben © Wikimedia

Offensichtlich brauchen Frieden und Freiheit etwas anderes als Visionen, Revolutionen und globalisiertes Chaos, um gedeihen zu können. Sie kommen ganz einfach und nüchtern daher als institutioneller Rahmen, der den Einzelnen vor Übergriffen des Staates und des Nachbarn schützt, ihm Freiheit zur Entfaltung gewährt und in der Gesellschaft auf einen Interessenausgleich hinwirkt, der zwar nicht allen gerecht werden kann, aber doch zu einem gesellschaftlichen akzeptierten Miteinander der Ungleichen führt. Das Zaubermittel dafür sind freiheitliche Verfassung und gebundener Rechtsstaat„Legitimität durch Verfahren“ (Niklas Luhmann). Nimmt man noch John Rawls Gerechtigkeitsdefinition hinzu, dann ist so ungefähr alles versammelt, was es an Wissen braucht, um Freiheit und Frieden zu gewährleisten. (Man kann statt Luhmann und Rawls gerne andere Theoretiker bevorzugen). Dass wir in Deutschland und Europa nach zwei alles zerstörenden Kriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer solchen wirtschaftlichen, menschenrechtlichen und kulturellen Blüte gelangt sind, verdanken wir nichts anderem als der Anwendung genau dieser Prinzipien, dieses Wissens um die Rahmenbedingungen von Freiheit und Recht.

Umgekehrt wird nichts so bedrohlich, als wenn Freiheit und Recht verdreht, verkehrt und zu pervertierten Instrumenten zur Rechtfertigung von Autokratie und Diktatur werden. Zuerst wird der Rechtsstaat aufgelöst (uminterpretiert in ‚Volkswillen‘), Recht und Schutz des Einzelnen missachtet und das Recht zum Herrschaftsinstrument der jeweiligen Machthaber umgebogen – Beispiele und Namen mag jeder aus der gegenwärtigen politischen Entwicklung beliebig einsetzen. Dann wird die Freiheit beschnitten oder ausgehebelt mit Notstandsmaßnahmen, Ausnahmezustand, erklärtem ‚Kriegszustand‘ („war on terror“), totaler Überwachung, Inhaftierung, ‚Säuberung‘. Auch hier gibt es genug aktuelle Beispiele. Genau dies macht die Zeit heute so gefährlich, wenn in unserem direkten Umfeld Freiheit und Recht suspendiert zu werden drohen – um vermeintlicher Sicherheit willen. Deutschland hat bisher einen sehr maßvollen und rechtsstaatlichen Weg beschritten, hoffentlich bleibt es dabei.

Und die schreienden Ungerechtigkeiten, Ungleichverteilung der Reichtümer usw? Wir werden sie nicht sogleich weg bekommen. Die Gier steckt im Menschen, der „Jäger und Sammler“ wird immer wieder Wege finden, andere auszunutzen und sich selber zu bereichern. Mafiöse Strukturen überwuchern und durchsetzen oft genug eine Gesellschaft wie ein Virus. Aber auch hier ist der wirksamste Schutz der Rechtsstaat, möglichst verbunden mit wirkungsvollem internationalem Recht. Hier ist gerade Europa in den vergangenen fünfzig Jahren auf einem guten Weg weit voran gekommen. Wir sollten im Sinne Kermanis alles daran setzen, nicht aus augenblicklicher Verunsicherung wegen terroristischer Gefahren alles aufs Spiel zu setzen, was einzig und allein Freiheit, Frieden und gerechten Ausgleich verbürgt: Freiheitliche Verfassungen, internationale Verträge, Rechtsstaat, der an unveräußerliche menschenrechtliche Prinzipien gebunden ist.

Rechtspopulisten, Nationalisten, Fundamentalisten, welche Fanatiker und Terroristen auch immer – sie alle arbeiten gemeinsam in einer eigentümlichen Koalition den neuen Autokraten und Diktatoren nur allzu bereitwillig in die Hände. Sie hassen Freiheit und Recht, Individualität und Selbstbestimmung, es sind aktuell die „Feinde der offenen Gesellschaft“ (K. Popper). Sie nützen denen, die nur auf Macht und Bereicherung ihres Herrschafts-Clans aus sind. Gerade unter dem heutigen Druck der Ereignisse aber gilt es, die Chancen und Bedingungen der Freiheit, einer freiheitlichen, demokratischen, pluralistischen Gesellschaft heraus zu stellen und offen(siv) dafür einzutreten. Der Firnis der Kultur ist dünn, das brutale Recht des Stärkeren lauert um die Ecke. Umso wichtiger ist es, dass wir die erreichte Freiheit und Kultur, das stete Bemühen um Recht und gerechten Ausgleich, den Respekt vor jedem und jeder Einzelnen, mit Zähnen und Klauen verteidigen. Es hat zu lange gedauert, dies zu erringen, auszugestalten und einzuüben, was wir heute als Leben freier Bürger kennen, als dass es im ersten Sturm zu opfern wäre. Ich wünsche sehr, dass auch die nächste und übernächste Generation dieselben Chancen der Freiheit erleben können wie wir heute. Darfs etwas mehr sein? Ja, neue Instrumente für einen gerechteren intenationalen Ausgleich!

 

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