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Gutmensch – oder Moral & Politik

Gutmensch ist das Unwort des Jahres 2015.  Die Darmstädter Jury erklärt dazu:

„Als ‚Gutmenschen‘ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf ‚Gutmensch‘, ‚Gutbürger‘ oder ‚Gutmenschentum‘ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert.“ Die Jury weist darauf hin, dass der Ausdruck Gutmensch zwar überwiegend vom rechten Lager benutzt wird, aber auch in den breiteren Journalismus Eingang gefunden hat. „Die Verwendung dieses Ausdrucks verhindert somit einen demokratischen Austausch von Sachargumenten.“

„Naiv, dumm und weltfremd“, – also sind Gutmenschen das, was man früher als hoffnungslosen Idealisten, Traumtänzer, Weltverbesserer bezeichnet hat, der in Wolkenkuckucksheim lebt, an das Gute im Menschen glaubt und die Realität nicht wahrnimmt. Dagegen steht der Realist, in der Politik der Realpolitiker, der sich nicht von Gefühlen und moralischen Bewertungen leiten lässt, sondern nüchtern und sachlich Kräfteverhältnisse abwägt, Interessen artikuliert und eine Rangliste von Zielen erstellt. Steht also Sach- und Realpolitik gegen Moral und Ideal?

Unwort 2015: Gutmensch
Unwort 2015: Gutmensch

Vielleicht führt der Gegensatz von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik weiter. Max Weber hat diese Begriffe geprägt und sich klar für die Verantwortungsethik ausgesprochen. Allein – auch dies ist bereits eine moralische Wertung, denn für den Verantwortungsethiker spricht sein Denken und Handeln für andere, während der Gesinnungsethiker nur der Reinheit der eigenen Gesinnung folgt. Der Hinweis auf Max Weber führt zu einem weiteren oft zitierten Begriffs-Tripel Webers:  Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Diese drei Qualitäten zeichnen idealtypisch (auch ein Weber-Begriff) den Berufspolitiker aus. Dabei ist mit Leidenschaft das engagierte Eintreten für eine Sache gemeint, die eben Sachlichkeit einschließt; mit Verantwortungsgefühl sowohl die Verpflichtung gegenüber der Sache als auch gegenüber dem Ganzen des Staates (wir möchten heute ergänzen: und seiner Bürger) und mit Augenmaß „die Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Menschen.“ (Max Weber, Politik als Beruf, 1919) Alle drei Eigenschaften sind aber immer schon an den zugrundeliegenden Wertekanon gebunden, dem sich ein Mensch sei es als Wissenschaftler, sei als Politiker verpflichtet fühlt. Die strikte Sachlichkeit rettet gewissermaßen vor gesinnungsethischer Beliebigkeit, die Weber in anderem Zusammenhang zum komplizierten Begriff der Wertfreiheit führt. In der Politik ist es das Augenmaß, das die Distanzierung zu beteiligten Dingen und interessierten Menschen gewährleistet.

Zurück zum ‚Gutmenschen‘. Der Begriff macht also einen Gegensatz auf, der so gar nicht besteht. Jede politische Haltung oder Meinung ist einer Sachlage und ihrer Bewertung verpflichtet. Als Unwort brandmarkt der Vorwurf ‚Gutmensch‘ eine bestimmte Haltung als falsch und naiv, nur weil man selber eine andere Wahrnehmung der Dinge und eine andere Haltung teilt, die zu anderen Handlungsmöglichkeiten führt. Sache und Moral sind in jedem Falle eng miteinander verknüpft. Die moralische Grundeinstellung führt zu einer anderen Wahrnehmung und Bewertung einer Sachlage. ‚Gutmensch‘ ist insofern tatsächlich ein ideologischer Kampfbegriff und meint: Ich habe Recht und du hast Unrecht, weil du naiv bist und bestimmte Realitäten nicht anerkennst. Der wirkliche Streit müsste also um die ‚wirklichen Realitäten‘ gehen und um die Wertungen, die ein jeder mit diesen Realitäten verbindet und die ihn zu bestimmten Handlungen veranlassen oder diese eben verbieten. Dabei wird dann durchaus auch über Ideale und über die Einstellung zum Menschen und zur Menschlichkeit zu diskutieren sein – und genauso über das, was sich überhaupt als ‚Lage der Dinge‘ erkennen und sachgemäß beurteilen lässt. Weder Schönfärberei noch Dramatisierung helfen da weiter.

Wie steht es damit angesichts der Flüchtlinge, die nach Europa und insbesondere Deutschland kommen und hier unter uns leben wollen? Bei der Polarisierung dieser Diskussion gibt es die einen, die eine gesellschaftliche Veränderung durch Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen, insbesondere islamischen, ablehnen. Die tatsächlich anstehende ‚Veränderung‘ wird als Überfremdung, als Angriff auf die eigene Identität, als Eindringen einer feindlichen Welt und Lebensweise in die bisher als wohlgeordnet empfundenen Verhältnisse angesehen. „Grenzen dicht“ bedeutet dann schlicht, alles Fremde soll draußen bleiben und sehen, wie es klar kommt, basta. Diese Haltung ist anschlussfähig an alle möglichen nationalistischen und rassistischen Tümeleien, die zunächst mit der Lage der Flüchtlinge überhaupt nichts zu tun haben. Es braut sich dann ein von rechts vereinnahmtes und befeuertes Angst- und Unsicherheitsgefühl zusammen, das wir heute verbreitet erkennen können. – Auf der anderen Seite gibt es praktisch niemanden mehr, der einer unbegrenzten Aufnahme von Flüchtlingen das Wort redet, sondern die Fähigkeit zur geregelten und befristeten Aufnahme sowie zur Integration in unsere Lebensverhältnisse als Maßstab dafür nimmt, was human möglich und angesichts der Leides vieler Flüchtlinge verantwortet werden kann. In Schäubles Bonmot vom „Rendezvous mit der Globalisierung“  steckt viel Wahres, aber das allein hilft noch nicht. Fähigkeit, Möglichkeit, Mittel und Wille gehören zusammen, um auf diese Herausforderung in einer offenen Welt zu antworten – und dabei humane Prinzipien, bürgerschaftliche Ideale und freiheitliche Werte nicht zu vernachlässigen.

Der verunglimpfte ‚Gutmensch‘ erweist sich als der politische Mensch mit weiterem Blick und größerer Verantwortungsbereitschaft, ebenso mit größerer Sachlichkeit und tieferer Leidenschaft als sein sich abschließendes Gegenüber. Leidenschaft schließt in der Tat auch ein, dass man sich über die Leiden im Klaren ist, die Menschen aus ihrer Heimat treiben und die auch hier, in einer neuen, fremden Umgebung in anderer Weise aufbrechen, und zwar auf beiden Seiten. Man kann auch an einer Welt leiden, die Menschen entwurzelt und sozial erniedrigt, einer Welt, die nicht ansatzweise in der Lage ist, Reichtum und Entwicklungsmöglichkeiten einigermaßen menschengerecht zu verteilen. Der Gutmensch sieht eben keineswegs nur das Gute im Menschen, sondern kennt die Enttäuschungen durch Gewalt, Gier und Bosheit. Der ‚Schlechtmensch‘ aber sieht Gutes nur bei sich und seinesgleichen und erkennt im Anderen, Fremden allenfalls die Bosheit, Niedertracht und Gewaltbereitschaft, die ihm von sich selber vertraut sein dürften. Beides sind eben mehr oder weniger moralische Standpunkte.

Die Sache selbst aber wird strittig bleiben, und über sie muss weiter engagiert diskutiert werden: Wohin nämlich eine Welt treibt, die sich erneut abzuschotten droht: Arm gegen Reich, West gegen Ost, Nord gegen Süd, Christen gegen Muslime usw. usw. Der neue Trend zur nationalen Abschottung, zum Neo-Merkantilismus, zur puren Machtpolitik und Missachtung von Verträgen, zur Überwachung und Stigmatisierung (Stichwort Populismus) ist ein Wind, der bereits kräftig Fahrt aufnimmt und zum Sturm werden kann. Der Kampf gegen den Terrorismus wird dann leicht zur Blankovollmacht, eben jene Werte aufzugeben, zu deren Verteidigung eine lebendige Demokratie selbstbewusst in der Lage sein sollte. Ein paar ‚Gutmenschen‘ sind da durchaus hilfreich.

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