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Sicherheit – selektiv wahrgenommen

Die größte Gefahr geht heutzutage vom Terrorismus aus, liest man. Angesichts der Nachrichten aus Europa und der Welt während des letzten Jahres mag man das schnell glauben. Dann sind da noch die Wohnungseinbrüche. Die sind stark angestiegen, liest man, und das verunsichert die Bevölkerung erheblich. Auf der anderen Seite scheint es dann erstaunlich, dass laut dem Deutschlandtrend der ARD vom 5. Januar 2017 sich immerhin 73 % der Befragten in Deutschland sicher fühlen und noch 57 % meinen, alles in allem sei unser Land gut geschützt gegen den Terrorismus. Andersherum heißt das aber auch, dass ein Viertel der Befragten sich nicht sicher fühlen und sogar mehr als ein Drittel der Meinung sind, es werde nicht genug getan zum Schutz vor dem Terrorismus.

Diese Meinungen haben, wie so oft, mit Zahlen über tatsächliche Bedrohungen und Gefährdungen nichts zu tun. Tote durch Terroranschläge gab es in Deutschland 2016 genau 14, wobei 12 Opfer beim Anschlag am 19.12.2016 in Berlin zu beklagen sind. Zwei der 14 Toten sind die Täter gewesen, hinzu kommt noch der in Mailand getötete mutmaßliche Attentäter von Berlin. Insgesamt gab es 5 (Würzburg) und 15 (Ansbach) und 56 (Berlin) verletzte Personen, insgesamt 76. Natürlich, jedes Opfer ist eines zuviel, und der Terrorismus hat allein in Europa 2015 / 2016 mehr Oper gefordert als je zuvor. Dennoch, aufs Jahr und auf Deutschland gerechnet, sind die Zahlen zum Glück äußerst gering.

Mit den Einbrüchen, da müsste es doch anders aussehen, schließlich kann man davon überall lesen und hören. Im Jahr 2015 hat es 167.136 Einbrüche in ganz Deutschland gegeben, das waren knapp 10 % mehr als im Jahr zuvor. Die Statistik für 2016 liegt noch nicht vor, aber es ist von einer weiteren Steigerung auszugehen. Jeder Einbruch ist für die Betroffenen schlimm genug, aber dabei ist es zum Glück fast nie zu irgendeinem Personenschaden gekommen. Auf die Bevölkerungszahl umgerechnet heißt das, dass im Jahr auf rund 500 Personen ein Einbruch kommt, also 2 auf Tausend, das sind 0,2 %. Ist das tatsächlich so beängstigend, dass das gesamte Sicherheitsgefühl der Bürger dadurch ins Rutschen kommt – selbst wenn man die terroristischen Anschläge hinzu nimmt?

Es gibt einen Bereich, der in Deutschland ungleich viel mehr Opfer kostet mit vielen Toten und zahllosen Verletzten, und zwar alljährlich. Es geht um die Zahl von ca. 400.000 Verletzten, zum Teil schwer, Tendenz steigend, und um 3.300 Tote, Tendenz leicht fallend. Diese horrende Zahl von Opfern gibt es in Deutschland, ich wiederhole, jährlich, seit langem, und niemand regt sich darüber groß auf oder verliert deswegen sein Gefühl der Sicherheit. Ich rede von den Opfern im Straßenverkehr. Merkwürdige Welt.

Man kann die Zahlen der Verkehrsopfer relativieren mit dem Hinweis darauf, dass die Zahl der Verkehrstoten seit vielen Jahren stetig abnimmt von einem Level, der rund dreimal so hoch war wie heute. Man kann die Opferzahlen auf die Millionen Automobile oder auf die zig Millionen gefahrenen Autokilometer umrechnen, um sie klein zu rechnen. Das ist auch alles richtig, aber absolut gesehen sind es die höchsten Opferzahlen in unserer Gesellschaft, mit denen wir uns abgefunden haben, die wir nicht für skandalös halten, die nicht zu politischem Handeln führen, die keine Unsicherheit in der Gesellschaft auslösen – und die dennoch tatsächlich weitestgehend vermeidbar wären. Verkehrstote und Schwerverletzte aus Verkehrsunfällen sind kein unabwendbares Schicksal, wenn man sich vor Augen führt, dass der größte Teil der Verkehrsunfälle auf wenige Ursachen zurück zu führen ist: überhöhte Geschwindigkeit, unangepasstes Fahrverhalten (z.B. Drängeln,  zu dichtes Auffahren), Missachtung der Vorfahrt, Alkohol am Steuer. Vor allem tödliche Unfälle sind überwiegend durch zu hohe Geschwindigkeit verursacht (Verkehrsunfallstatistik). Ein konsequentes Tempolimit, flächendeckende Geschwindigkeitskontrollen, hohe Geldstrafen sind bei uns nicht möglich oder üblich, sind angeblich sogar ohne Akzeptanz in der Bevölkerung (ADAC als Lobby der Raserei). Länder wie die Schweiz, die Niederlande oder die skandinavischen Länder zeigen, dass es auch anders geht und sich Disziplin auf den Straßen und im Straßenverkehr erzwingen und durchsetzen lässt – wenn man es denn wirklich will. Aber hierzu gibt es keinen „Deutschlandtrend“.

Polizei
Verkehrskontrolle CC 2.0 https://www.flickr.com/photos/dirkvorderstrasse/17177758246

Bezüglich des Straßenverkehrs besteht offenbar nicht nur ein unterentwickeltes Risikobewusstsein, sondern eine nur ideologisch zu erklärende Sicht, die reale Gefahren ausblendet. „Freie Fahrt für freie Bürger“ (ADAC) war der Slogan, der erfolgreich das ungehinderte Rasen, wie man will, zum Freiheitsideal verklärt hat. So gilt bis heute das Tappen in die Radarfalle als ein Kavaliersdelikt. Die Vermeidung nicht etwa der überhöhten Geschwindigkeit, sondern der ‚unfairen‘ Radarfallen ist das Ziel der Autofahrer, unterstützt von den Medien mit „Blitzerwarnungen“ usw. Technisch ist eine flächendeckende Geschwindigkeitsüberwachung heute durchaus möglich, Holland zeigt es auf bestimmten Schnellstraßen. Denkbar wäre ja auch eine Geschwindigkeitsdrosselung im PKW genauso wie in den LKWs. Allein schon drastisch höhere Strafgebühren für zu schnelles Fahren wie in der Schweiz und in Österreich (inkl. Beschlagnahmung des KFZ) zeigen dort erstaunliche Wirkungen: Man fährt deutlich disziplinierter und weniger agressiv als bei uns.

All dies wäre eine eingehende Diskussion wert, wenn man das ernsthafte Ziel hätte, die Zahlen der Verkehrsopfer ebenso sensibel für das Sicherheitsgefühl zu behandeln wie die Einbruchszahlen oder die verschwindend geringen Zahlen der Anschlagsopfer. Solange das nicht geschieht, weder in der politischen noch in der gesellschaftlichen Diskussion, solange bleibt das Verlangen nach Sicherheit völlig selektiv und rational kaum begründet. Ängste, so lehren uns die Psychologen, verlaufen nicht proportional zu den tatsächlichen Bedrohungen, sie werden subjektiv und selektiv wahrgenommen und bewertet. Eine gesellschaftlich wünschenswerte Diskussion sollte hier für mehr sachliche Aufklärung sorgen.

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