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Alles Journalisten?

„Journalismus“ in alten und neuen Medien

Wer ist eigentlich ein Journalist? Der Begriff ist als Berufsbezeichnung nicht geschützt, verrät Wikipedia. Insofern kann sich jeder, der sich dafür hält, selbst so bezeichnen. Ein hauptberuflicher Journalist sollte mindestens 50 % seines Einkommens aus journalistischer Tätigkeit bestreiten. Es ist weitgehend ein Ausbildungsberuf geworden. Ein Studium und / oder eine Journalistenschule sind meist Vorraussetzung, dazu kommt ein mehrjähriges Volontariat bei Rundfunk oder Presse.

Wenn wir öffentlich über „die Journalisten“ sprechen, meinen wir genau diesen professionellen Angestellten oder freien Mitarbeiter eines Zeitungsverlages oder eines Rundfunksenders. Seine Arbeit unterliegt dem rechtlichen und beruflichen Rahmen, wie er jeweils in einer Redaktion (Redaktionsstatut) oder im Rundfunk (Rundfunkrat) gegeben ist. Dazu kommen arbeitsrechtliche Regelungen, die Einordnung in ein Team, die Abhängigkeit von der jeweiligen Chefredaktion und so weiter. Innerhalb der Presse- und Meinungsfreiheit (der Unterschied sei hier nicht näher erklärt) sorgen Richtlinien und Vereinbarungen dafür, dass in einer Redaktion eine bestimmte „Richtung und Linie“ einer Zeitung zum Ausdruck kommt. Bei Radio- und Fernsehanstalten ist der Pluralismus der dargestellten Meinungen ein wichtiges Kriterium.

Natürlich ist gerade auch das Berufsbild des Journalisten durch Internet und digitale Medien stark im Wandel. Auch dies wäre eigens zu beleuchten. Ich möchte den Fokus hier darauf legen, inwiefern Twitter- oder Blogbeiträge sowie YouTube – Videos als journalistisch zu bewerten sind. Das Rezo-Video gibt den Anlass. Klar ist einerseits: Nicht jede öffentliche Äußerung einer Privatperson, wo auch immer, ist schon eine journalistische Arbeit. Auch persönliche Recherche oder bedeutende Reichweite (Likes) sind für sich genommen noch kein besonderer Ausweis einer journalistischen Tätigkeit. Es kommt wesentlich das Selbstverständnis und Ziel und Zweck der eigenen „journalistischen“ Tätigkeit hinzu.

Das Selbstverständnis von Journalisten aus England und Amerika unterscheidet sich von demjenigen ihrer Kollegen auf dem europäischen Kontinent. Klischeehafte Ansichten wie „All The News That’s Fit To Print“ oder „Tell it like it is“ kennzeichnen die angelsächsische Sicht der Dinge. Eine diametral entgegengesetzte Auffassung bringt Tissy Bruns im Vorwort zu einer neueren Untersuchung von Weichert und Zabel auf den Punkt: „Journalisten wollen und sollen die Welt erklären“. Die unterschiedlichen Einstellungen zur Rolle und Aufgabe des Berufsstandes bleiben laut Elisabeth Noelle-Neumann nicht ohne Einfluss auf die Wirkungsabsichten der zwei Journalistengruppen: „In verschiedenen Untersuchungen zeigte sich bei deutschen Journalisten eine Dominanz der eher aktiven und teilnehmenden Rolle mit dem Ziel, den gesellschaftlichen und politischen Prozess selbst zu beeinflussen, während in angelsächsischen Ländern die Rolle des Informationsvermittlers an oberster Stelle der Wertehierarchie steht“. Renate Köcher spricht von „Anspruch auf geistige Führung“ (deutsche Journalisten) und „skrupellose[r] Recherchebegeisterung“ (britische Journalisten).

Wikipedia

Auch die reine Nachrichtenauswahl („das, was ist“) beruht schon auf einem vorgängigen Werturteil, was denn als berichtenswerte Nachricht gelten soll. Erst recht ist die erklärende oder steuernde Aufgabe des Journalisten von politischen und gesellschaftlichen Wertvorstellen geprägt, die den eigenen Kopf sortieren. Im Unterschied zum Werbetreibenden verfolgt ein Journalist also nicht in erster Linie Verkaufsinteressen. Aber er blubbert auch nicht einfach in die Welt hinaus, was ihm gerade so einfällt. Es muss redaktionell verantwortet sein und in den Rahmen des jeweiligen Presseorgans bzw. Rundfunksenders passen. Die Meinungsfreiheit ist sehr weit gefasst, und die gilt auch für einen angestellten Journalisten. Allerdings ist er dazu verpflichtet, eingehend zu recherchieren und genau zu belegen, was er behauptet und schreibt / sagt. Im Zweifelsfall wird ein Journalist, der als Lügner oder Schreiber erfundener Geschichten entlarvt wird, schnell seinen Job verlieren, siehe den Fall Claas Relotius.

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All diese letzten Punkte treffen in der Regel weder auf Twitterer noch auf Blogger oder YouTuber zu. Die Meinungsäußerungen, Stellungnahmen, Einfälle, Geistesblitze, Hasstiraden und was auch immer sind hier überwiegend Äußerungen von Einzelnen, Privatpersonen, auch wenn sie professionell gestaltet und von einem Team dahinter verantwortet werden. Soziale Medien sind eben keine Presse, kein Fernsehen, kein Rundfunk. Es sind öffentliche Meinungsäußerungen, die nicht einem klaren Sender – Empfängermodell unterliegen, denn jeder kann dort ganz praktisch und leicht „Sender“ und zugleich „Empfänger“ sein. Das ist grundlegend neu. Die „Verlegerpresse“ oder der Öffentlich-rechtliche Rundfunk haben kein Monopol mehr auf die medial verbreitete öffentliche Meinung. Das ist das entscheidend „Soziale“ an den Sozialen Medien. Insofern muss man entweder den Journalismus – Begriff dramatisch erweitern, was ich für verfehlt halte, oder, besser, ihn klar eingrenzen auf den professionellen, redaktionell verantworteten Journalismus der Pressehäuser und Rundfunkanstalten.

Das, was ein Thilo Jung oder Rezo und andere auf YouTube tun, kann man für wertvoll, neuartig, locker und cool halten – oder es verdammen – , aber es ist in dieser Form kein Journalismus im eben erklärten Sinn. Wir werden einen neuen Begriff dafür finden müssen, denn auch „Influencer“ trifft nicht die politischen Absichten, die in manchen Videos transportiert werden. Warum nicht dabei bleiben, was es an Vielfalt in den neuen Medien zu sehen, zu hören und zu liken und zu kommentieren gibt: Es sind Twitterer, Blogger oder YouTuber halt! Wenn sie wirkungsvoll sind – umso besser. Denn es ist ein Stück Demokratisierung der Medien. Und das finde ich gut und für eine mündige Zivilgesellschaft eine echte Bereicherung – trotz aller Hasstiraden und Junk – Inhalte, die es da eben auch gibt.

art.

Update 05.07.2019

Wie sich der öffentliche „Diskurs“, besser die lebendige politische Diskussion in den vielen verschiedenen Medien nicht zuletzt durch #Rezo verändert hat und wie sie eine Zeitenwende markiert, beschreibt sehr scharfsinnig Hilmar Klute in der Süddeutschen Zeitung: „Jetzt rede ich.“