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Dummheit Politik

Sach- und Stilfragen

Beim Thema Bundespräsident Wulff geht in der teilweise etwas hitzigen medialen Diskussion einiges durcheinander. Ich versuche ein paar einfache Klärungen.

Frage: Muss Wulff zurücktreten?

Nein. Kein Politiker muss zurücktreten. Ein Politiker scheidet aus dem öffentlichen Amt, wenn die Amtszeit regulär abläuft oder aus gesetzlichen Gründen vorzeitig endet (z.B. Kanzler: konstruktives Misstrauensvotum). Alles andere sind Willensbekundungen oder Appelle aufgrund persönlicher und / oder öffentlicher Einschätzungen der allgemeinen Moral und des politischen Anstands.

Frage: Kann Wulff sein Amt jetzt noch unbefangen und angemessen (oder würdig oder was da sonst alles genannt wird) ausüben?

Es wird sich zeigen, ob er das „kann“. Dazu braucht er nur ein ausreichend dickes Fell. Das Rezept „Aussitzen“ ist für viele Politiker ein probates und erfolgreiches Mittel des Sich-Durchsetzens (-> Sauerland). – Ob Wulff sich dazu in der Lage sieht und sich das „antun“ will, ist eine persönliche Frage, die er nur alleine für sich beantworten kann.

Frage: Ist das Verhalten des Bundespräsidenten nicht dennoch unanständig und inakzeptabel?

Inakzeptabel für wen? Und was sollte es Wulff kümmern? Selbst die Kanzlerin, die ihn „installiert“ hat, kann ihm kaum etwas anhaben. Rechtlich nicht, siehe oben, und politisch auch nicht: Was sollte sie einem Bundespräsidenten schon noch anbieten oder womit Druck machen können? Er ist in jedem Falle politisch „tot“.

Frage: Wo bleibt da der Vorbildcharakter?

Gegenfrage: Wer sich in seinem Verhalten als Ministerpräsident schon am Rande des Erlaubten bewegt hat, wer um einiger 100 Euro Zinsvorteil willen seinen „Amtsbonus“ nutzte, wer meint, er gehöre nun zur Welt der Chicen und Reichen, darf man von demjenigen dann in einem neuen, höheren Amt Anstand erwarten? Er benimmt sich, wie er sich als Politiker immer benommen hat. Da kann man kaum anderes erwarten.

Frage: Ist es nicht doch nur eine Medienhetze, die dem armen Wulff so zusetzt, Stichwort „Meute“?

Wenn Wulff sich da als Opfer bezeichnet (siehe Interview), dann ist das zwar medial geschickt und Mitleid heischend, aber von der Sache her unzutreffend. Politiker agieren per definitionem öffentlich, sie erlangen ihr Amt durch Einwirkung auf die und Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Platt gesagt: Politiker brauchen die Medien, um in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu bleiben. Dass die mediale Aufmerksamkeit aber auch zu Ungunsten eines Politikers und Amtsträgers ausgehen kann, merken viele Politiker erst, wenn es zu spät ist. Wer da meint, er sei immer „everybody’s darling“, leidet unter Realitätsverlust.

Frage: Hat Wulff nicht ein Anrecht auf Privatsphäre?

Hat er, wie jeder andere Bürger auch. Nur ist die Grenzziehung zwischen öffentlich und privat bei einer Person des „öffentlichen Lebens“ naturgemäß anders als bei Otto und Lieschen Müller – und entsprechend schwieriger. Nur die Extreme sind da mehr oder weniger eindeutig gesetzlich geschützt (persönliche Herabsetzung, ‚Ehrverletzung‘). Wenn ein Amtsträger aber selber zu privaten Dingen öffentlich Stellung genommen hat, dann muss es für die Medien auch das Recht geben, ihrerseits Stellung zu nehmen und gegebenenfalls weitere Fakten zu veröffentlichen. Wer in und von der Öffentlichkeit lebt, muss da schon einiges hinzunehmen bereit sein.

Frage: Sollte BILD den Mailbox-Anruf trotz Einspruch Wulffs veröffentlichen?

Das muss die BILD entscheiden. Sie kann sicher, ob es für sie klug ist, ist eine andere Frage. Aber es muss ja nicht die BILD sein, die plötzlich dieses Material hat und veröffentlicht… Ich bin sicher, wir werden es bald lesen.

Frage: Was lehrt uns das?

Seufz… Politiker sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren… – aber genau das, wozu auch wir sie gemacht haben.