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Moderne Klimapolitik

Umwelt – Leben – Technik

Panik ist ein schlechter Ratgeber, da hat Boris Palmer schon recht – unter vielen anderen ähnlichen Meinungen. Auch Pessimismus mag vorerst eine naheliegende Reaktion sein auf die Fülle der Probleme, mit denen die Menschheit heute konfrontiert ist, aber echte Lösungen, wirkliche praktisch umsetzbare und gangbare Wege der Politik wird es nur geben können mit ruhiger Vernunft, Augenmaß und einer guten Portion Optimismus: Neben der menschlichen Dummheit ist sicher auch der menschliche Einfallsreichtum grenzenlos.

Es ist schwierig, aus der Vielzahl der Herausforderungen diejenige zu benennen, welche aktuell die größte ist. „Klima“ wird sofort gerufen, weil ein Endzeit-Drama drohe. Die Klima – Katastrophe bekommt apokalyptische Ausmaße, vom Ende des Planeten gar ist die Rede. Für einen Planeten, der schon mehrere Phasen völliger Verwandlung und beinahe Totalvernichtungen des Lebens durchgemacht hat, dürfte die derzeitige Situation recht belanglos sein. Die Zukunft der Erde hängt zum geringsten Teil vom menschlichen Handeln ab, vielmehr von astro- und geophysikalischen Entwicklungen und Ereignissen. Das ‚Leben‘ hat sich schon in der Vergangenheit unter völlig gewandelten planetarischen Verhältnissen neu erfunden. Aber es steht durchaus die „Zukunft der Welt“ auf dem Spiel, wenn man mit „Welt“ die Menschenwelt, unseren globalen Lebensraum, meint: die Welt, wie wir sie bisher kennen.

Die rasante Erderwärmung ist offenkundig wesentlich vom Menschen verursacht, darauf jedenfalls weisen alle bekannten wissenschaftlichen Fakten und Daten hin. Prognosen aufgrund der bestehenden Datenlage sind zwar von hoher Wahrscheinlichkeit, auch darin sind sich die Wissenschaftler einig, aber es sind dennoch Aussagen über Wahrscheinlichkeiten; kleine Änderungen in der Datenbasis können in der Berechnung große Auswirkungen haben (Schmetterlingseffekt). Nichtsdestoweniger müssen wir, also die Menschheit insgesamt, eine globale Anstrengung unternehmen, und zwar gemeinsam, jede Gruppe und Nation da, wo sie handlungsfähig ist, um den weiteren Temperaturanstieg wenigstens zu bremsen, soweit und solange das noch möglich ist (vgl. die „Kipppunkte“ in vorigen Beiträgen). Diese Anstrengung wird sich darauf konzentrieren müssen, den Anstieg von temperaturrelevanten Stoffen in der Atmosphäre (Kohlendioxid, Methan, Aerosole) drastisch zu vermindern. Um das zu erreichen, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Verringerung des Ausstoßes ist nur eine davon, natürliche oder technologische Reduktionen sind andere Möglichkeiten. Jedenfalls brauchen wir mehr und nicht weniger geeignete Technologie, mehr Einfallsreichtum und technologie- und lösungsoffene Förderung entsprechender wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung, und zwar rasch.

[Nebenmerkung: Wissenschaft ist keine Religion. Auch Wissenschaftler können irren (Beispiele: Phrenologie, Kraniometrie), und haben es schon oft getan. Nur die Daten sind objektiv innerhalb ihres Erhebungsrahmens. Schon ihre Auswertung, Bewertung und dann Extrapolation für künftige Szenarien enthält eine Menge variabler Elemente und unvermeidlich subjektiver Faktoren – sonst würde es ja nicht so viel Streit unter den Wissenschaftlern geben. Hier in der Klimafrage ist sich allerdings die überwältigende Mehrheit der internationalen Wissenschaft bemerkenswert einig. Darum ist davon als derzeit gültiger Faktenlage auszugehen.]

Das andere ist: Wir brauchen sehr viel mehr Vorsorge für die jetzt schon absehbaren Folgen der Klimaerwärmung in unseren Lebensräumen. Küsten- und Deichschutz, Wassermanagement, insbesondere bezüglich des Grundwasserspiegels, Luftreinigung von Feinstaub und Aerosolen, Waldmanagement im Blick auf Trockenheiten und klimagerechter Pflanzenauswahl (auch Neuzüchtungen), weitaus mehr als heute üblich ressourcenschonende landwirtschaftliche und industrielle Produktion, regenerative und schadstoffarme Energieerzeugung, intelligente Vernetzung und Nutzung vorhandener Energie, ein Recycling von Wertstoffen, das den Namen verdient (Verbrennen oder Exportieren ist kein ‚recycling‘, siehe unter Nachträge) und schon bei der Produktion von Gütern Beachtung finden muss (Zertifizierung), forcierte Entwicklung klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren, emissionsfreie Mobilität, wirksame Regulierung der Finanzmärkte (Vermeidung von ökonomisch und sozial schädlichen Fehlallokationen, Beispiel Immobilienmarkt) – und vieles andere mehr. Dieser kleine unvollständige Überblick soll zeigen, dass es keineswegs um rückwärtsgewandte Vernichtung von Industrie und Abbau von Arbeitsplätzen geht, sondern um deren weitreichenden Umbau und globale Weiterentwicklung gemäß den Erfordernissen des Klimawandels, wirtschaftlicher Anreize und sozialer Teilhabe. Wenn man auf diesen gesamten Bereich schaut, kann man mit Sicherheit sagen, das hier noch viel zu wenig umgedacht und entsprechend gehandelt wird. Hier wäre viel mehr vorausschauende Politik und weitsichtige Verantwortung nötig, welche die Menschen „mitnimmt“.

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Es bleiben aber weitere wesentliche globale „Baustellen“ offen. In vorigen Beiträgen hier im Blog ist schon die Rede von der weltweiten Migration, beschleunigt durch Kriege um Ressourcen, Bevölkerungswachstum durch Bildungsmangel und gleichzeitiger Verknappung landwirtschaftlich geeigneter Flächen, obwohl auch dafür weiterführende neue Entwicklungen denkbar sind. Eine weitere Herausforderung stellt das Eindringen von Mikroplastik in die Nahrungskette dar, wie es sich gerade vollzieht. Schon jetzt ist im Menschen (sogar Säuglingen) die Anreicherung von Mikroplastik im Körper nachweisbar. Die Auswirkungen sind bisher noch kaum bekannt und erforscht, bergen aber unabsehbare gesundheitliche Risiken. Weitere globale Problemanzeigen sind das erneute Anwachsen von Infektionskrankheiten durch multiresistente Keime, also durch das Versagen der klassischen Antibiotika-Medizin. Ein Spezialfall sind die bei uns bisher wenig beachteten, aber bedrohlich zunehmenden Fälle von Sepsis. Von weiteren Krankheitserregern, die wir keineswegs im Griff haben, von Malaria oder viralen Erregern mit Seuchenpotential könnte man viele Blogs füllen, ganz zu schweigen von der weiteren Ausbreitung von Krebs (auch bedingt durch höhere Lebenserwartung). Will sagen: Es gibt wirklich sehr vieles, was auf sehr vielfältige Weise den Lebensraum und die Lebensweise der Menschheit bedroht – und damit die Menschheit insgesamt. Zynisch und ironisch zugespitzt könnte man sagen: Vielleicht hat uns noch vor dem Klimatod eine Grippeseuche dahingerafft.

Von einer schwerwiegenden Bedrohung anderer Art ist nun noch zu reden: Von dem weltweiten Verlust des Vertrauens in Institutionen und Regierungen, vom Zerfall internationaler Zusammenarbeit, vom Vordringen nationalistischer Partikularisierung, vom Angriff auf Menschen- und Freiheitsrechte an vielen Orten der Erde, vom Anwachsen von Verschwörungstheorien, Gewaltbereitschaft, Radikalisierung, Terror und einer Wiedergeburt von Rassismus, Antisemitismus und ‚Faschismus‘ (siehe „Volksverhexer“) – ausgestorben war das freilich nie. Gerade der Antisemitismus ist so etwas wie der Lackmustest für den Grad von Humanismus und aufgeklärter Moral. Damit steht es nicht gut. In einer Epoche, in der wir eigentlich sehr viel mehr Vernunft, wissenschaftlichen Verstand, rechtsstaatliche Institutionen, weltweite Zusammenarbeit, Verständigungsbereitschaft und Kompromissfähigkeit nötig haben, darüber hinaus aufgeschlossen sein sollten gegenüber technischer Innovation und vielfältigen Lösungsansätzen, – genau in dieser Situation, wo alles nach Zusammenarbeit und phantasievollem Neustart schreit, wenden wir uns ab und altbekannten Mustern der Vereinfachung, der Feindbilder, der nationalen und religiösen Ideologien zu, die vorhandene Probleme und Herausforderungen eher noch verschlimmern, weil sie nun auch noch Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind.

Nötig ist in der Tat eine politische, ökonomische und ökologische, klimagerechte und sozialverträgliche, phantasievolle und innovationsfreudige (Digitalisierung) Neuausrichtung der gesellschaftspolitischen Agenda. Da fehlt noch viel, aber da zeigen sich auch neue Wege. Jugend ist nicht nur auf der Straße aus Lust an der Revolte oder Klima-Fanatismus, sondern weil sie sich von der gegenwärtigen Art, wie Politik funktioniert, ausgeschlossen und nicht ernst genommen sieht. Das, was „Rezo“ ausgelöst hat, gibt davon ausreichend Zeugnis. Jakob von Lindern hat dazu jüngst Beherzigenswertes und Treffendes geschrieben über die „Rezolution der Politik“. Recht hat er, und von guten neuen Chancen schreibt er, wenn man das Anliegen junger Menschen, die sich um ihre Zukunft betrogen sehen, ernst nimmt – sei es bei YouTube, sei es bei vielen Aktivisten von #FridaysForFuture. Gerade hier ist viel mehr Optimismus angesagt und Bereitschaft, neue Formen der Kommunikation für ein neues Gespräch der Generationen zu erproben. So könnte sich Politik jenseits der Parteien erneuern und etwas Neues ‚ausbrüten‘. Das wäre gut, eine wirkliche Chance zur Veränderung. Denn die, darin sind sich eigentlich alle einig, tut bitter not. „Gegen den Wandel des Klimas hilft nur der Wandel des Systems.“ (siehe Maja Göpel „Gebt die Privilegien auf!“).

Nachträge:

  1. In einem Artikel in der FAZ vom 30.09.2019 beleuchten die Ökonomen Prof. Dr. Kai Carstensen und Prof. Dr. Stefan Kooths in hervorragender Weise die Aufgabe einer vernünftigen Klimapolitik aus wissenschaftlicher Sicht: So geht vernünftige Klimapolitik – gut auf den Punkt gebracht.
  2. „Bei Circular Economy geht es nicht um Recycling, es geht nicht um Müllmanagement“, erklärte Antonia Gawel, die beim World Economic Forum die gleichnamige Initiative leitet. „Es geht darum, ein ganzes System neu zu designen und neu darüber nachzudenken, wie wir Produkte designen, nutzen, wiederverwenden, länger behalten und ihr Material weiterverwerten.“ Lies den Beitrag über Bits & Pretzels im Handelsblatt.

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