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Transhumanismus – dem Ego auf der Spur

Technologie als Kultur-Ersatz

Zwei Themen begegneten mir kürzlich, die scheinbar kaum etwas miteinander zu tun haben. Einmal geht es um den Transhumanismus, also um die Vervollkommnung oder Überwindung des natürlichen Menschen. Zum andern erregte der Abgesang auf die Geisteswissenschaften von Hans Ulrich Gumbrecht (NZZ) Aufsehen und blieb nicht unwidersprochen (Andreas Kablitz, FAZ). Gemeinsam ist beiden Themen die Aufkündigung eines Kulturverständnisses, das die Förderung und Bildung des Individuums in einen gesellschaftlichen Zusammenhang einbettet, die Humanität sozial verortet (kategorischer Imperativ) und sie auch mittels wissenschaftlicher Weltdeutung („Aufklärung“) kritisch begleitet. Ein solcher Umbruch, wenn er sich denn tatsächlich vollziehen würde, wäre eine Ansage an die Gegenwart, die öffentlicher Diskussion bedürfte.

Da die beiden Artikel von Gumbrecht und Kablitz für sich selber sprechen, muss erläutert werden, was es mit dem Transhumanismus auf sich hat. Deutlich wurde die Problematik in einem Vortrag von Michael Hauskeller (Liverpool) im Rahmen der Ringvorlesung des Zentrums für Wissenschaftstheorie und des Centrums für Bioethik an der Westfälischen Wilhelms – Universität Münster. Wenngleich die Begriffe Humanismus, Posthumanismus und Transhumanismus schillernd sind, so ist dieser überwiegend angelsächsischen Bewegung gemeinsam, den auf Renaissance und Aufklärung beruhenden Humanismus radikal weiterzuführen, sei es durch Überwindung, sei es durch überbietende Vollendung. Mittel dafür sind die rasant wachsenden technologischen Möglichkeiten und Fähigkeiten des heutigen Menschen, sich der gezielten Genmanipulation, der Künstlichen Intelligenz (AI / KI) und der Mensch-Maschine-Kopplung zu bedienen. Der natürliche Mensch, wie ihn die „Bio-Konservativen“ sehen, ist aus dieser Sicht defizitär insbesondere hinsichtlich Krankheit, Leid und Tod. Gibt es das Wissen und die Mittel, diese Defizite zu beseitigen, ist der Mensch geradezu verpflichtet, sich selbst zu entgrenzen und eine neue Seinsform als Transhumanum zu verwirklichen. Science Fiction – Themen berühren sich mit utopischen Gedanken bei Vertretern dieser Bewegung, gehen darin aber nicht auf (siehe zum ersten Überblick Wikipedia deutsch, vor allem aber den ausführlichen Artikel Wikipedia englisch.) Es ist die ernst gemeinte und philosophisch formulierte These, dass die Aufklärung als Aufbruch aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit (Kant) erst noch bio-technologisch und KI-basiert ins Werk gesetzt werden, sie je nach Sichtweise vollendet oder überwunden werden müsse. Der natürliche Mensch selber (und nicht bloß seine Befindlichkeiten, Ansichten und Haltungen) ist zum Gegenstand der Kritik und Korrektur geworden. Ein neues transhumanes Design wird geschaffen.

Die dadurch aufgeworfenen ethischen Fragen sind erheblich und berühren die Grundlagen des menschlichen Selbstverständisses. Sie sind aber vor allem gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Biochemische Mittel zur körperlichen und intellektuellen Leistungssteigerung sind allenthalben im Umlauf, – nicht nur im Sport ist „Doping“ ein zentrales Problem. Die Frage der Steuerung menschlicher Reproduktion ist zunächst durch Vorauswahl von Gendefekten in den Bereich des bei Schwangerschaften Alltäglichen gerückt. Zumindest verläuft die Entwicklung der Medizin und der Prothetik in eine Richtung, die neben der Heilung auch Verbesserung, Optimierung ermöglicht. Die Perspektiven der Transhumanisten mögen noch extravagant oder abwegig erscheinen, sie sind gleichwohl real gegebene Möglichkeiten wissenschaftlich-technischer Entwicklung und Manipulation. Schon allein deswegen sollte man sich damit auseinandersetzen.

Transhumanisten Symbol
Transhumanisten – Symbol (c) Wikimedia Commons

Demgegenüber scheint der Abgesang auf die Geisteswissenschaften als universitäre Disziplinen vergleichsweise harmlos. Die Replik von Kablitz auf Gumbrechts Provokation (wenn sie denn überhaupt als solche empfunden wird) ist bestimmt noch nicht alles, was dazu zu sagen wäre. Gumbrecht beschreibt doch schlicht die angelsächsische Wirklichkeit, die schon durch entsprechende Begriffe angezeigt wird: „Science“ ist evidenzbasierte Naturwissenschaft, alles andere sind die „humanities“, das Menschlich-Allzumenschliche in Geschichte, Literatur, Kunst, das Gumbrecht nur noch für den Zweck ästhetischen Konsums gerechtfertigt hält. Es fallen allerdings neben der Geschichte die Soziologie, Psychologie, Jurisprudenz und wohl auch die Ökonomie durch das Raster, sofern sie sich nicht ausschließlich erfahrungsbasiert, sondern ebenso hermeneutisch und normativ definieren. Ausschließlich datengetriebene Kulturwissenschaften wären eher das Gegenteil von dem, was wir gemeinhin als liberale, aufgeklärte, gesellschaftsbezogene Kulturwissenschaften verstehen. Die Restriktion der Wissenschaft auf Empirie, Evidenz, Daten und Technologie mag zu einer enormen wirtschaftlichen Steigerung der Verwertbarkeit des Wissens beitragen, Produktivkräfte geradezu entfesseln, so dass umfassende Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, die sich ihren kritischen, analytischen, exemplarischen Anspruch nicht rauben lassen, an den Rand gerückt werden. Die Auswirkungen solcher Tendenzen zu immer stärkeren Verwertungsinteressen („Drittmittel“) lassen sich auch an deutschen Universitäten beobachten.

Und hier trifft sich das Fortschreiten der technischen (Natur-) Wissenschaften als einer Art wissenschaftlicher ‚Säkularisierung‘ mit den Zielen des Transhumanismus, – zumindest passt es allzu gut zusammen. Zu machen und zu verwirklichen, was immer möglich ist, dient vor allem der Selbstvervollkommnung, das heißt der Perfektionierung des Einzelnen, der sich selber als ‚transhumanes‘ Ego neu erschafft. Kultur und Gesellschaft, ihre Prägungen und Verpflichtungen, sind da nur hinderlich, lassen sich allenfalls noch individuell ästhetisch goutieren. Der wahre Mensch aber soll der neugeschaffene Mensch sein, der sich seiner Fesseln und Schranken entledigt, – alte Mythen und Utopien lassen grüßen. Nur ist es heute ’science‘, die dabei hilft. ‚Humanities‘ sind dann nur noch etwas für die „Bio-Konservativen“ als zukünftige „Amish-People“. So nennen Transhumanisten ihre Gegner. Das passt erstaunlich gut zusammen.

Nimmt das Programm ernst, ist schnell zu erkennen, dass es dabei letztlich um reine Machtfragen geht, darum nämlich, wer die begrenzten technischen Ressourcen verwaltet und zuteilt, wer die Maßstäbe setzt für das Mögliche und unbedingt zu Erreichende, wer dem Kreis der Erwählten und biotechnisch Optimierten angehören darf und wer als bloß bionatürlicher Rest, selbst wenn es die große Mehrheit ist, ausgeschlossen bleibt. Danach aber wird bei den Transhumanisten gar nicht gefragt. Ob das vorgeblich Gute und Richtige, das es mit dem Transhumanum zu erreichen gilt, tatsächlich bei der Verschmelzung von ‚wissenschaftlichen‘ Evidenzen und Daten gleichsam von selbst „ausfällt“, ob also der so ersehnte Fortschritt etwas anderes ist als eine neue Form eines technologischen Totalitarismus, wird weder bedacht noch diskutiert. Naturwissenschaft allein reicht eben nicht für Gesellschaft und Kultur. Es wird Zeit für eine solche Diskussion, und Ethik und Kritik sind gefragt, wenn darüber entschieden wird, welchen Weg die Menschheit nehmen soll.

Update:
Claus Pias beschreibt in der FAZ „Gestern und morgen sind abgeschafft!“ eine vergleichbare Entwicklung im Blick auf den „Präsentismus“ der digitalen Medien, nämlich als eine Art self-fullfilling prophecy des silicon valley – brilliant beobachtet und geschrieben! (FAZ plus).

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