Aktualität des Rassismus
Es gibt viele gute Untersuchungen zum Thema Rassismus, man braucht bloß zu googeln oder sich in der Wikipedia zu orientieren. Die unterschiedlichen Aspekte, geschichtlichen Ausprägungen, sozialen Bedingungen, nationalen Besonderheiten, ökonomischen Verhältnisse werden analysiert und gewürdigt. Sie ergeben ein äußerst facettenreiches Bild des Rassismus in menschlichen Gesellschaften, in der Vergangenheit und vor allem in der Gegenwart. Der Rassismus scheint nicht totzukriegen, im Gegenteil, heute ist er virulent und aggressiv wie lange nicht mehr.
Es gibt Rassismus zwischen den unterschiedlichsten Menschen und Bevölkerungsgruppen. Wikipedia beschreibt Rassismus zunächst sehr allgemein so:
Rassismus ist eine Gesinnung oder Ideologie, nach der Menschen aufgrund weniger äußerlicher Merkmale – die eine bestimmte Abstammung vermuten lassen – als „Rasse“ kategorisiert und beurteilt werden. Die zur Abgrenzung herangezogenen Merkmale wie Hautfarbe, Körpergröße oder Sprache – teilweise auch kulturelle Merkmale wie Kleidung oder Bräuche – werden als grundsätzlicher und bestimmender Faktor menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften gedeutet und nach Wertigkeit eingeteilt. Dabei betrachten Rassisten alle Menschen, die ihren eigenen Merkmalen möglichst ähnlich sind, grundsätzlich als höherwertig, während alle anderen (oftmals abgestuft) als geringerwertig diskriminiert werden. Mit solchen heute überholten Rassentheorien wurden und werden diverse Handlungen gerechtfertigt, die den heute angewandten allgemeinen Menschenrechten widersprechen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus
Es gibt also keineswegs nur einen ‚weißen‘ Rassismus. Aber der von ‚Weißen‘, besonders von Mitteleuropäern ausgeübte Rassismus ist sowohl historisch (Kolonialismus) als auch gegenwärtig politisch besonders relevant -. und besonders giftig und gefährlich. „White Supremacy“ liefert dafür den zutreffenden Begriff. Er bezeichnet ein Phänomen, das weit über die USA hinausreicht. Der Rechtspopulismus in Europa und Südamerika ist davon ebenso geprägt wie die Anti-Migrations-Kampagnen hierzulande. Kurz gesagt – und das ist meine These – ist der Grund dafür die Angst des ‚weißen Mannes‘ vor dem Verlust seiner Vorherrschaft.
Es handelt sich tatsächlich um eine Angst mit existentiellen Auswirkungen. Rassisten fühlen sich oft bedroht. Dies gilt besonders dann, wenn ein ‚Schuldiger‘ für die eigene negativ empfundene Situation gesucht wird. Nur als Beispiele seien genannt: „Incel“ – das Schlagwort für die Ideologie einer „hegemonialen Männlichkeit“ – und betrifft überwiegend weiße Männer. Antifeminismus und Misogynie treten hier noch hinzu. – Noch öfter gibt es das Gefühl der Angst bei vermeintlich oder tatsächlich abgehängten sozialen Gruppen, vorwiegend Männern, die in wirtschaftlich schlecht versorgten Regionen leben. Selbst zahlenmäßig wenige Migranten 1) können dann als Bedrohung angesehen werden. Von Rechtsextremisten hört man darum die Forderung: Vorrang für weiße (bei uns: deutsche) Männer. Ein solcher fremdenfeindlicher Rassismus ist eine Triebfeder des Rechtspopulismus weltweit.
Es handelt sich in Europa und Amerika vor allem um ‚weiße‘ Männer als Träger rassistischer Ideologien. Die Leitfiguren der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten sind fast ausnahmslos ‚weiße‘ Männer – Marine Le Pen in Frankreich ist die Ausnahme – und ihre Anhänger sind es überwiegend ebenso. Zwar gibt es in den USA auch ’schwarze‘ Bügerwehren, die sich aber als Reaktion auf die Bedrohung durch ‚weiße‘ Bürgerwehren verstehen. Zahlenmäßig dürfte das stimmen. Das schließt natürlich nicht aus, dass auch ‚weiße‘ Frauen für rassistische Ideologien empfänglich sind: „Frauen machen bislang nur einen kleinen Teil der rechtsextremen Szene aus, aber ihre Zahl wächst.“ (Bundeszentrale bpb)
Schließlich und endlich geht es um Herrschaft, und das ist das Entscheidende. Verlust der jahrhundertelangen Vorherrschaft steht auf dem Spiel, und das ist zum Beispiel in den USA angesichts der Bevölkerungsentwicklung sehr real: Mitte dieses Jahrhunderts werden laut US- Demografie die europäischen ‚Weißen‘ nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Und 2019 hat die FAZ recherchiert: „Schon jetzt sind in vier der 50 Bundesstaaten [der USA] Nicht-Weiße in der Mehrheit. Neben Hawaii und New Mexico sind das die beiden größten Bundesstaaten Kalifornien und Texas. Im kommenden Jahr 2020 wird es bereits in der Altersgruppe von null bis 18 Jahren mehr Nicht-Weiße als Weiße geben.“ Da werden die vielen Tricks des amerikanischen Wahlrechts („Tücken der US-Wahl: die nicht so demokratischen Staaten von Amerika“) immer weniger durchzuhalten sein – oder immer massiver werden. Sie dienen nur einem Ziel: Die ‚weiße‘ Vorherrschaft politisch und ökonomisch unbedingt abzusichern. 2)
Man könnte fragen: Was hat das mit uns zu tun? Zahlenmäßig sieht es in Europa und insbesondere in Deutschland anders aus. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund liegt hierzulande bezogen auf die Gesamtbevölkerung bei 26%, bezogen auf deutsche Staatsbürger bei 13% (siehe aktuell Bundeszentrale bpb). Dennoch sind auch hier Verlustängste der ‚weißen‘ Mehrheitsbevölkerung hinsichtlich ihrer Macht und Vorherrschaft (Leitkultur – Diskussion) zu spüren. In vielen Entwicklungen sind die USA Europa oft um einige Jahre voraus, – vermutlich auch in dieser. Die massiven Stimmungen einer Minderheit gegen jegliche Migration und „Überfremdung“, das Ausrufen einer „illiberalen Demokratie“ zum Schutz der christlichen (!) weißen Vorherrschaft in Europa (Orbán, siehe FAZ plus) zeigen schon die Richtung an.
Droht also ein Rassenkrieg? Und welche Rolle könnte China und sein Kampf um die weltweiter Vorherrschaft spielen? Man kann es noch nicht wissen. Jedenfalls dürfte den herrschenden ‚Weißen‘ in der westlichen Welt (und damit auch unserem Gesellschaftsmodell) eine Auseinandersetzung an zwei Fronten bevorstehen. Die mehr als 500 Jahre andauernde Vorherrschaft der europäischen ‚Weißen‘ wird definitiv zuende gehen, und China wird weiter aufsteigen, das zumindest ist sicher. Es sollten bei uns aber Diskurs – Strategien entwickelt werden, die über das kurzsichtige Bild vom Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus hinausgehen. Es muss um Antirassismus gehen, gesellschaftlich, politisch, ökonomisch, kulturell – überall. 3) White Supremacy wird ein beherrschendes Thema der Konflikte in der Zukunft sein.
Anmerkungen
1) Siehe den Bericht „Ein ganz gewöhnlicher Rassist aus der Mitte der Gesellschaft“ im aktuellen Tagesspiegel (plus) [zurück]
2) Die FAZ (plus) bringt heute einen Artikel über den wirtschaftlichen Rassismus der US-Regierung, der offiziell bis Ende der sechziger Jahre rechtlich gültig war – und heute de facto noch weiterwirkt: „Hier wohnen nur Weiße“ [zurück]
3) Der wachsende Antisemitismus ist ein Lackmustest für die steigende Bedeutung des Rassismus in unserer Gesellschaft – war es immer schon. „Jeder vierte Deutsche denkt antisemitisch“ – Studie des Jüdischen Weltkongresses, bei tagesschau.de [zurück]
Der Text steht auch als PDF zur Verfügung.
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