Warum der Islamismus nicht unwidersprochen bleiben darf.
Den ‚Islam‘ zu kritisieren, ist schwierig deswegen, weil der Gegenstand der Kritik unklar ist (darum auch in Häkchen). Die Schwierigkeit lässt sich gut an seinem Gegensatz verdeutlichen.
Wenn man das ‚Christentum‘ kritisieren will, muss man sogleich Unterscheidungen treffen: Soll die christliche Religion kritisiert werden? Es gibt sie aber gar nicht in dieser Verallgemeinerung, sondern nur konkret in bestimmten geschichtlich entstandenen unterschiedlichen Gestalten: römisch-katholisch, protestantisch, orthodox, evangelikal, um die Bedeutendsten zu nennen. Schon spreche ich aber nicht mehr von ‚christlicher Religion‘ allgemein, sondern von ihren geschichtlich konkret gewordenen Formen, den christlichen Kirchen. Dann bin ich bei meiner Kritik nicht mehr bei der christlichen Religion insgesamt, sondern kritisiere einzelne Kirchen und deren Verhalten..
Aber es gibt sie schon, die grundsätzliche Religionskritik des Christentums. Ihr bedeutsamster Vertreter war Ludwig Feuerbach Mitte des 19. Jahrhunderts. Bei dieser Kritik geht es um die Glaubensinhalte, die Dogmen, die Ethik, also die Lebens- und Verhaltensweisen, die ‚das Christentum‘ beinhaltet. Es handelt sich dann um eine allgemeine Kritik dessen, was allen christlichen Kirchen gemeinsam ist (oder zu sein behauptet wird). Es ist sozusagen die Kritik des ideologischen Überbaus. Dies kann man machen, ohne damit jemandem allzu nahe zu treten, solange es sich nicht um bestimmte Glaubensinhalte und Formen handelt, wie sie in einer konkreten Kirche hochgehalten werden. Solche Kritik im Allgemeinen ruft wenig Protest hervor.
Dann wende ich mich lieber der Kirchenkritik zu. Die ist viel weiter verbreitet, weil sich diese Kritik auf konkrete Dinge bezieht, zum Beispiel auf die Duldung und Vertuschung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche, – oder auf die (angebliche) ‚linke‘ Politisierung der protestantischen Kirchen, – oder auf die Fanatisierung konservativer evangelikaler Gemeinden – um einige Beispiele zu nennen. Auch mit dieser Kritik wird man keinen Aufruhr erregen, weil die jeweils Angegriffenen und Kritisierten solche Kritik kennen, sie ablehnen, neutralisieren oder schlicht ignorieren. Eine Aktion von Femen vor einem russisch-orthodoxen Altar, das ist schon ein anderes Kaliber, das findet für einen kurzen Moment mediale Aufmerksamkeit und wird dann vielleicht einfach durch das jeweilige Hausrecht geklärt. Auch diese Form der Kritik stört nicht wirklich.
Am ehesten, so könnte man meinen, müsste doch die Ideologiekritik treffen, weil sie die christliche Religion grundsätzlich betrifft. Das ist dann aber eher ein intellektueller Standpunkt, der sich auf die Dogmatik bezieht und an Gelehrte wendet und mit dem gelebten ‚Glauben‘ nicht viel zu tun haben muss. Man kann auf sehr unterschiedliche Weise Christ sein, sogar auf eine solche Weise, dass einem viele andere Christen das Christsein absprechen würden. Das muss einen Individualisten aber nicht schrecken. Ich selber halte wenig von christlichen Lehren, Theologien und abstrakten Theorien der Theologen (obwohl ich selber einer bin), weil es mir in meinem Christsein darum geht, eine bestimmte geistige Tradition wertzuschätzen, kulturelle Quellen zu nutzen und zu schützen und in alten Texten und gottesdienstlichen Feiern eine Spiritualität zu finden, die mir gut tut und darum wichtig ist. Päpste und Dogmen, reformatorische Lehrschriften und Lutherverehrung, emotionalisierte, stockkonservative, reaktionäre Glaubens- und Lebensweisen von „erweckten“ evangelikalen Christen und Bekenntnisgemeinden sind mir ein Greuel. Das kann ich sagen und schreiben – und es wird niemanden wirklich jucken.
Vielleicht ist jetzt schon deutlich geworden, warum eine Kritik des ‚Islam‘ so ambivalent ist. Es gibt dort keine Unterscheidung von Religion im Allgemeinen und so etwas wie ‚Kirchen‘, – Moschee-Gemeinden sind etwas ganz anderes (darum ist es auch mit der staatsrechtlichen Anerkennung von islamischen Glaubensorganisationen im Rahmen des Grundgesetzes so schwierig – anderes Thema). Natürlich gibt es auch im ‚Islam‘ historisch gewachsene unterschiedliche Ausformungen: Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufismus – und noch viele andere Gruppierungen, Formen und Gestalten mehr. Aber keine davon ist irgendwie „verfasst“, es gibt kein Oberhaupt, nicht einmal einen allgemeinen Obersten Rat (wie im orthodoxen Judentum), gar nichts Konkretes, als religiöse Institution oder Organisation Greifbares. Die unterschiedlichen islamischen Dachverbände in Deutschland (siehe Wikipedia über islamische Organisationen) sind keineswegs ‚Kirchen‘, sondern Interessenverbände nach dem Vereinsrecht, die ganz unterschiedliche Bereiche abdecken wie zum Beispiel DITIB für türkische Muslime, die zudem eine Einrichtung ist, die dem türkischen Religionsministerium zugeordnet wird.
Wen also kritisiert man, wenn man den ‚Islam‘ kritisiert? Normalerweise richtet sich entsprechende Kritik sehr wohl und sehr konkret gegen bestimmte Ausprägungen und Erscheinungsweisen von Muslimen, ihren Moscheegemeinden und Organisationen. Wenn bestimmte Muslime, einzelne oder Gruppen, lautstark eine antimodernistische, antiliberale, antidemokratische und antisemitische Lebens- und Verhaltensweise an den Tag legen und zum Beispiel an Schulen durchsetzen wollen (mit der Berufung auf „Glaubensfreiheit“), so ist es im Grunde eine Kritik an einer bestimmten konservativen islamischen Ideologie, womöglich in der Nähe des Salafismus, die nur für wenige Muslime in Deutschland repräsentativ ist. Aber wie soll man diese kritisierten Gegner zusammengefasst nennen? Es gibt nichts, was sie organisatorisch repräsentiert, wenngleich sie gut vernetzt sind. Es ist eine bestimmte Ausprägung muslimischer Lebensweise, die zu einem demokratischen und pluralistisch verfassten Staat wie dem unseren quer steht, nicht kompatibel ist. Genau das darf und muss man kritisieren – können.
Es wird dann gleich eine Kritik „des Islam“ daraus, weil die Eingrenzung und Zuspitzung auf bestimmte muslimische Gruppen so schwierig ist: Es gibt keinen konkreten Ansprechpartner, an den die Kritik zu adressieren wäre. Darum können sich auch viele andere Muslime angesprochen und missverstanden fühlen. Denn auch sie stehen für „den Islam“. Wenn allerdings das öffentliche Bild und die mediale Erscheinungsweise von diesen radikalen und demokratiefeindlichen Gruppen bestimmt wird, müssen sich andere, liberale Muslime auch zu Wort melden und sich erklären, wie es auch geschieht, nur dass sie viel weniger Aufmerksamkeit erfahren. (zum Beispiel Seyran Ateş und die Ibn-Rushd-Goethe Moschee Berlin). Die etwas diffuse Erscheinungsweise des ‚Islam‘ in unserer Zeit und die lautstarke islamistische Radikalisierung erschwert Kritik, darf sie aber nicht unmöglich machen, im Gegenteil: Dieser Kampf gegen muslimische Parallelgesellschaften, gegen islamisch motivierte Feinde unserer Verfassung, Feinde der Demokratie und Feinde einer liberalen, pluralistischen Gesellschaft muss dringend geführt werden, offensiv und öffentlich vernehmbar. Am wichtigsten ist dabei die Bildung muslimischer Kinder und Heranwachsender in unseren Schulen. Dort darf es keinerlei ideologischen Rabatt für Islamisten geben, kein Zurückweichen von unseren liberalen gesellschaftlichen Werten und Grundsätzen.
„Die Schule ist die einzige Chance gegen Extremismus“, schreibt heute der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour auf FAZ.NET. Ihm ist nachdrücklich zuzustimmen:
„Muslimische Eltern haben Angst, ihre Kinder zu verlieren. Sie schicken ihre Kinder deshalb zur arabischen oder türkischen Moschee, wo Sprache und Werte vermittelt werden, die im Widerspruch zu einer freiheitlichen Gesellschaft stehen. Das betrifft vor allem die Mündigkeit. Das in den Moscheen vermittelte Islamverständnis ist eine Offenbarungsreligion, die es den Einzelnen nicht erlaubt, zu hinterfragen und selbst zu denken. Es wird ein Gott repräsentiert, der eigentlich nur mit Strafen droht, und ein Buchstabenglaube an den Koran, der historische Kritik nicht zulässt.- Lehrer müssen offensiv bei der Ablehnung des Antisemitismus, bei der Gleichberechtigung, bei der Meinungsfreiheit sein. Das sind für mich Werte, die nicht verhandelbar sind.“ – „Die Schule ist die einzige Chance. Wir haben nur neun oder zehn Jahre, um etwas zu bewirken. Die Schule sollte zwar die Eltern mit einbeziehen, muss aber auch den Mut haben, gegen ihre Eingriffe in das Curriculum und den Schulalltag vorzugehen. Es sind gedankliche Pflanzen, die wir setzen und die manchmal erst Jahre später blühen.“
Ergo: Kritik des gegenwärtig herrschenden Islam (ohne Häkchen) ist möglich und nötig. Der Kampf gegen diesen tendenziell „islamistischen“ Islam muss klar und entschieden geführt werden. Schönreden hilft nicht, sondern schadet – und versagt vor der nächsten Generation. Bildung ist alles.
Damit solche Berichte nicht mehr geschrieben werden müssen: „Für sie ist der Mörder aus Frankreich ein Idol – Deutsche Islamisten feiern bei Telegram den Attentäter, der den Lehrer Samuel Paty enthauptet hat. Vor allem junge Muslime driften in Extremismus ab.“ via @tagesspiegel
[P.S. In der Diskussion in Frankreich taucht die Bezeichnung „Islamo-Faschismus“ auf. Scheint mir passender als einfach „Islamisten“, denn der Hauptbegriff ist hier politisch, Faschisten, nur mit islamischer Konnotation.]
Nachtrag 10.11.2020
Nach neuen islamistischen Anschlägen in Europa wächst allmählich das Problembewusstsein. Beachtenswert der Beitrag von Ruud Koopmans, Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität Berlin, im Tagesspiegel (plus): https://plus.tagesspiegel.de/politik/nachgeben-wird-nicht-helfen-experte-kritisiert-deutschlands-umgang-mit-dem-islamismus-66539.html
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