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Klima Pandemie

Klima und Pandemie

Klimaveränderung und Pandemie haben auf den ersten Blick nur scheinbar nichts miteinander zu tun. Wenn überhaupt, dann wird darauf verwiesen, dass beides Katastrophen sind, die zu bewältigen eine besondere Herausforderung für die gesamte Menschheit ist. Das ist sicher richtig, trifft es aber noch nicht genau. Beide Ereignisse haben gemeinsame Ursachen, eine gemeinsame Struktur. Es ist das global rücksichtslose Verhalten des Menschen. „Rücksichtslos“ verstehe ich zunächst nicht moralisch, sondern deskriptiv.

Beim Klimawandel ist das hinreichend bekannt und erörtert. Er wird verursacht durch das Verhalten des Menschen, seit fast 200 Jahren fossile Rohstoffe massenhaft zur Energiegewinnung einzusetzen. Seit rund einhundert Jahren geschieht das weltweit. Es ist ein Skalenproblem: Ein bisschen Verbrennung würde kaum geschadet haben, aber der massive Einsatz von Kohle, Erdöl und Erdgas als Primärenergie und Milliarden Verbrennungsmotoren in allen Ländern dieser Erde verändern die Umwelt eben auch massiv und global. Der hauptsächliche „Treiber“ der Klimaerwärmung ist der immer noch wachsende Ausstoß von Kohlendioxid, CO2. Auch Methan aus Tierhaltung spielt eine Rolle ebenso wie weitere „Treibhausgase“. Unbestritten ist es aber hauptsächlich der hohe CO2 – Ausstoß, der das Klima weltweit erwärmt und die klimaabhängigen Umweltsysteme (Wetter, Meeresströmungen, Inlandeis) zum Kippen bringen kann. Das Gegenmittel ist so einfach wie komplex. Kurz gesagt: CO2-Ausstoß global reduzieren, indem man die Energiegewinnung als Basis der Industrialisierung und der technischen Lebenswelt auf eine neue, nachhaltige Basis stellt. Darin liegt natürlich eine gewaltige Aufgabe, die uns, die Menschheit, noch lange beschäftigen wird.

Klimawandel, Pandemie
Covid-19 und Klimawandel (BR)

Bei der Pandemie ist die Ursache nicht so offensichtlich, weder hinsichtlich der Entstehung dieses konkreten Coronavirus Covid-19 oder besser SARS-CoV-2, noch hinsichtlich der Übertragungsbedingungen, die zum Übergang auf den Menschen geführt haben. Derzeit gibt es plausible Hinweise auf eine Entstehung in bestimmten Fledermaus-Populationen, von denen das Virus über einen tierischen Zwischenwirt (Haustier?) auf den Menschen übergegangen ist (siehe Süddeutsche Zeitung.) Ein solcher Weg wäre für dieses Virus wie für ähnliche Arten von Viren nicht ungewöhnlich. Es hat diese Übertragung schon öfter gegeben, gesichert bei SARS-1 und MERS. Vielleicht gab es solche Virusverbreitungen lokal schon früher. Das Besondere bei SARS-Cov-2 ist die rasant schnelle weltweite Verbreitung. Darum ist die Rede von einer globalen Pandemie und nicht nur von einer begrenzten Epidemie. Was sind dafür die Ursachen?

Dass Viren Träger wechseln, sich bei Übertragungen verändern und anpassen, ist als biologischer Prozess bekannt und verstanden. Dass RNA-Viren dazu besonders fähig sind, beschreibt Sven-Erik Behrens (Uni Halle) hier knapp zusammengefasst:

„RNA-Viren hingegen bringen ein eigenes Enzym – eine Polymerase – für die Vermehrung mit. Und diese Polymerase macht sehr viele Fehler. Dadurch entsteht in der Zelle nicht eine einheitliche Gruppe von neuen Tochterviren, sondern eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen. Dadurch hat man eine sehr schnelle Evolution der Viren. Und deshalb sind RNA-Viren so gefährlich, weil sie sich so schnell weiterentwickeln und es darum so schwierig ist, verlässliche antivirale Medikamente und auch Impfstoffe herzustellen.“

(Campus Halensis)

Das ist die eine, biologische bzw. virologische Seite. Dass es dennoch gelungen ist, in kürzester Zeit wirksame Impfstoffe zu entwickeln, ist ein mittleres Wunder. Wie lange ihre Wirkung anhält, wird sich von Vakzin zu Vakzin vermutlich unterschiedlich zeigen.

Die andere Seite aber ist die rasante Ausbreitung in Großstädten (Wuhan, China) und danach nach wenigen Wochen in der ganzen Welt. Das hat weniger mit den Viren als mit unserer Lebensweise etwas zu tun. Immer mehr Menschen leben in Ballungsgebieten mit Millionen-Städten auf engstem Raum zusammen und immer mehr Menschen reisen geschäftlich oder touristisch in kürzester Zeit quer über die Kontinente durch fast alle Länder dieser Welt. Die Vielzahl der Flugrouten, Flugverbindungen und die ständig steigende Zahl von Flugreisenden vor Corona zeigen das. Krass gesagt: Vor 200, ja noch vor hundert Jahren wäre SARS-Cov-2 vermutlich eine regionale ‚Seuche‘ geblieben. Entscheidende Voraussetzung der globalen Ausbreitung dieses Coronavirus ist die weiter wachsende Zahl der Weltbevölkerung, das Steigen der Zahl von Millionenstädten, der globale Austausch von Menschen und Waren, das weltweite Reisen, an das wir uns so sehr gewöhnt haben, wie die Größe der Tourismus-Industrie in unseren Ländern beweist. Auch hier liegt ein Skalenproblem vor: Milliarden Menschen sind von der Pandemie betroffen. Dadurch ist es gewissermaßen zu einem Paradigmenwechsel in der Geschichte der Entstehung, Ausbreitung und Auswirkungen dieser Coronaviren gekommen.

Sozialwissenschaftliche Analysen dazu liegen erst wenige vor, wir stecken ja noch mitten in der Pandemie und ihrer hoffentlich wirksamen Bekämpfung durch Vakzine. Eine erste Übersicht und Einschätzung der Pandemie als eines neuartigen sozialen und politischen Phänomens liefert der Soziologe Rudolf Stichweh (Uni Bonn).

Siehe den Mitschnitt eines Vortrages von Rudolf Stichweh, online gehalten am Zentrum für Wissenschaftstheorie der Uni Münster (WWU) am 12.11.2020 „Die Corona-Pandemie und die soziologische Differenzierungstheorie“, aufzurufen über diese Webseite der WWU Münster.

Das Virus wird vermutlich bleiben, seine Anpassungsfähigkeit ist groß. Es wird uns als ständige Gefahr ebenso begleiten wie die Auswirkungen des Klimawandels. Andere Pandemien können hinzukommen. Die Bedingungen für rasche Verbreitung von Krankheitserregern hängen von der hohen Bevölkerungsdichte und Mobilität ab. Nur die weltweite Mobilität wird vielleicht in Zukunft etwas abnehmen, aber vermutlich ist das nur Wunschdenken. Denn wir wissen immer noch viel zu wenig über das Virus, wie es genau epidemisch funktioniert.

Ein Jahr ist nun vergangen seit Beginn der Pandemie. Wir haben viel gelernt seitdem und mussten dennoch feststellen, dass das zentrale Element im Umgang mit dem Virus nicht Wissen, sondern Unsicherheit ist. Der pandemiepolitische Umgang mit den Mutanten in diesen Tagen steht beispielhaft dafür. In einer Welt, die normalerweise der Illusion von Planungssicherheit und Vorhersagbarkeit folgt, ist das ein ernüchterndes und verstörendes Fazit. Noch immer sind Daten unvollständig, Erkenntnisse aus anderen Ländern nur eingeschränkt übertragbar, werden politische Entscheidungen kurzfristig auf der Grundlage von Modellen voller Annahmen und Vereinfachungen getroffen.

Sibylle Anderl, FAZ 13.02.2021 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ein-jahr-corona-das-truegerische-ideal-sicheren-wissens-17195102.html?premium

Frau Anderl erklärt, wie mathematische Modellierung funktioniert, dass Unsicherheiten nicht vermeidbar sind und uns immer nur die Wahl zwischen mehr oder weniger wahrscheinlichen Szenarien bleibt. Das gilt für eine Pandemie genauso wie für die Abschätzung der Folgen des Klimawandels und der Einschätzung geeigneter Strategien zur Vermeidung katastrophaler Ereignisse und Verläufe. Das gilt gleichermaßen für beide Krisenphänomene. Mit der Unvollständigkeit unseres Wissens müssen wir leben, dabei kann uns Wissenschaft zwar entscheidend helfen, aber nicht vollständig entlasten. Entscheidungen für die Gesellschaft und für individuelles Verhalten sind unvermeidbar vorläufig, fehlerbehaftet und bleiben stets revisionsbedürftig. Auch wenn das unserem Drang nach Kontrolle und Sicherheit zuwiderläuft: Anders wird unsere heutige und die zukünftige Welt nicht zu haben sein. Wir werden mit dem Virus ebenso leben müssen wie mit der Klimaveränderung, trotz aller nötigen großen Anstrengungen und weitreichenden Veränderungen, die noch kommen mögen.


P.S. Unter der Überschrift „Das Unvorstellbare denken – Katastrophisches Denken ist unverzichtbar fürs Überleben“ verbindet Carolin Emcke den Umgang mit den beiden Krisen Pandemie und Klimawandel auf sehr nachdenkenswerte Weise mit einem Plädoyer für vorausschauendes Denken und Handeln – in der Süddeutschen Zeitung vom 12.02.2021.

Dieser Text ist als PDF verfügbar.

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