>Wenn ich so sehe, wie sich der Staat bei uns (aber keineswegs nur bei uns) aufführt, dann kommt mir das kalte Grausen. Man wird dies Jahrhundert vielleicht künftig einmal als das Jahrhundert des allmächtigen Staates bezeichnen. Nie zuvor jedenfalls hatten Staaten so viele Aufgaben an sich heran gezogen und zunehmend monopolisiert wie heute; nie zuvor konnte der Staat so weit in das Leben „seiner“ Bürger eingreifen, es bestimmen, kontrollieren und überwachen wie heute. Selbst der absolutistische Staat ist nur ein kümmerlicher Schwächling angesichts der heutigen Machtfülle des Staates. Nur noch ideell mag es Diskussionen darüber geben – und bei öffentlichen Reden zieren sich Politiker und Staatstheoretiker damit – , dass alle staatlichen Aufgaben nur dazu da seien, dem Wohle der Bürger zu dienen. Faktisch ist es längst anders herum: Die Bürger sind dazu da, dem Wohle des Staates zu dienen. Der Staat „gewährt“ Freiheit, aber nur so viel bzw. so wenig, wie es gerade noch toleriert wird. Das gilt sowohl für die individuelle Freiheit (Redefreiheit, Versammlungsfreiheit und der Schutz des Privaten sind in den letzten Jahren zunehmend eingeschränkt bzw. mit Ausnahmen versehen worden) als auch für die unternehmerische Freiheit. Die kritische Entwicklung großer Finanzinstitute im Herbst vergangenen Jahres hat den massiven Eingriffen des Staates nur weitere Tore und Türen geöffnet.
Womit wir bei der Lage der Wirtschaft und speziell der Finanzwirtschaft wären. Der Staat habe eingreifen müssen, weil es viel zu wenig Kontrolle und Regulierung gegeben habe, weil Finanzinstitute viel zu groß und mächtig geworden seien, weil man eben „am Abgrund“ gestanden habe und eine „Kernschmelze“ gedroht habe. Nun, das will man jetzt zügig ändern und die Situation dafür nutzen, den Einfluss und die Macht des Staates weiter auszudehnen. Warum waren denn Banken „zu groß“ geworden? Gerade weil sich hierzulande staatliche Finanzinstitute (Landesbanken, IKB) besonders hoch verspekuliert hatten; auch die Hypo Real Estate durfte deshalb nicht Bankrott gehen, weil ihr Hauptprodukt staatliche Pfandbriefe und Anleihen waren, sie also mit öffentlichem Geldern hantiert hatte. Die beste Kur gegen überzogene Risiken und Spekulationen wäre die unmittelbare Strafe für die Spekulanten gewesen, der Bankrott. Eine zwar schmerzhafte, aber heilsame Marktbereinigung wäre die Folge gewesen, allerdings auch ein Offenbarungseid für staatliches Wirtschaften, das an diesem „Spiel“ bis auf die kommunale Ebene („cross border leasing“) gerne mitgemacht hatte. Ob es wirklich „der Abrund“ und „die Kernschmelze“ gewesen wäre, werden wir nie erfahren. Heute wirken solch markigen Worte eher wie dramatisierende Schutzbehauptungen für die überzogenen Reaktionen des Staates mit unabsehbaren Fernwirkungen (Verschuldung, um nur ein Beispiel zu nennen).
Der Staat hat seine Macht massiv ausgeweitet und will sich nun als oberster Unternehmer und „lender of last resort“ betätigen und damit natürlich seinen Einfluss weiter ausdehnen. Woher man die Zuversicht nimmt, dass „der Staat“ es besser könne, dass staatliche Beamte und Bedienstete offenbar besser qualifizierte und besser handelnde Menschen seien, bleibt völlig rätselhaft, bzw. wird nur aus purem Streben nach Ausweitung der Macht erklärbar. Der Fall „Opel“ ist bisher ein Paradesdtück aus der staatlichen Mottenkiste der Machtspiele. Mit Verantwortung gegenüber den Bürgern und ökonomischer Vernunft hat das gar nichts zu tun, mit Machtspielchen und Wahlkampf allerdings eine ganze Menge. Schlimm, dass sich gewählte „Volksvertreter“ hier so schamlos zu Lasten Dritter „ausleben“ dürfen! Die „Rettung von Opel“ ist erstens noch längst keine, zweitens ist der Preis noch völlig unbekannt: Wieviel Geld braucht Opel wirklich? Wieviele Arbeitsplätze wird es am Ende tatsächlich kosten? Wie wird das Geschäftsmodell sein, wenn die Hauptmärkte Nordamerika und China verschlossen bleiben? Wie werden die Überkapazitäten auch bei Magna selber abgebaut? Wie wird die bisher völlig offene Beteiligung anderer europäischer Länder und Standorte sein? Wie wird letztlich die EU als Wettbewerbsaufsicht darauf reagieren? Es ist doch mehr als entlarvend, wenn die beiden Vertreter des Staates, also des Treugebers, in der Treuhandgesellschaft als kundige Ökonomen dem Verkauf an Magna nicht zustimmen konnten und nun nachträglich deswegen kritisiert werden. Ministerpräsident Koch wirft Wennemer vor, er habe seine Rolle als Vertreter des Staates nicht verstanden; klar, denn es wurde ja kein ökonomischer Sachverstand gebraucht, sondern nur willfährige Staatsvertreter; die Ökonomen im Beirat der Treuhand waren demnach erklärtermaßen nur Feigenblatt. Und ein solches Verhalten des Staates soll beispielhaft und vertrauenerweckend sein? Für mich ist es nur ein deutlicher Beleg dafür, dass der Staat derzeit kaum eine Schamgrenze und keine Vernunft mehr kennt, seine Macht zu demonstrieren und seinen Einfluss, koste es was es wolle, auszudehnen.
Womit wir beim „ich“ sind. Als Bürger dieses Staates sehe ich die Rasanz der Entwicklung in den letzten Monaten mit Erschrecken und bin mehr und mehr fassungslos. Schon die drastische Zunahme der Überwachungsmöglichkeiten des Staates in meiner Privatsphäre (Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner) hat mich wütend gemacht angesichts der Dreistigkeit und Unverfrorenheit der nun möglichen Staatseingriffe. Aber man ist ja in „guter Gesellschaft“: Die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrer „Heimatschutzbehörde“ und der russische Staat mit seiner ihm willfährigen Justiz machen es ja jeder auf seine eigene Weise vor. Die EU eifert nach. Das Verhalten des Staates bei uns ist kein Einzelfall, es hat weltweite Methode, auch China lässt grüßen. Es ist das Jahrhundert Leviathans, des allmächtigen Staates. Der Bürger muss sehen wo er bleibt.
Ach ja, es sind ja bei uns gerade Wahlen. Ich möchte „ich“ sein dürfen und frei, ohne dass ich dem Finanzamt gegenüber mein Einkommen rechtfertigen muss, ohne dass der Staat in meinen Konten schnüffelt, ohne dass meine Telefondaten und Emaildaten gespeichert und kontrolliert werden, ohne dass meine Hinnahme staatlicher Allmacht unter dem Deckmantel des Rechtsstaates als Legitimation derselben missbraucht wird. Wer also garantiert mir meine Freiheit? Wen soll ich da wählen? – Vermutlich werde ich wählen gehen, denn keine Wahl ist auch eine Wahl, und ein wirkliches „opt-out“ aus diesem Staat gibt es ja nicht. Wer also ist das kleinere aller riesengroßen Übel?
Von einer Teilnahme an der Wahl als Vertrauensbeweis kann jedenfalls nicht die Rede sein, weder bei mir noch bei vielen anderen Bürgern. Das, meine ich, ist die eigentliche „Politikverdrossenheit“. Sie kann böse Folgen haben.