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Persönliches Beispiel und globale Verantwortung

Gut gemeint ist zu wenig.

„Wir werden unseren kulinarischen Lebensstandard aus Klimaschutzgründen verändern müssen, … auch wenn niemand sagen kann, womit denn die Peruaner und Kenianer ihren bescheidenen Wohlstand halten sollen.“

https://plus.tagesspiegel.de/meinung/essgewohnheiten-im-wandel-und-das-essen-wir-morgen-345364.html

Das Dilemma ist offenkundig, und dies ist nur ein Beispiel von vielen, heute (3.1.) gefunden, fast jeden Bereich der ökologischen „Klimawende“ betrifft es. Vieles, vielleicht sogar alles, was auf den ersten Blick gut und klug aussieht, erweist sich auf den zweiten Blick als durchaus zwiespältig, manchmal sogar kontraproduktiv. Unsere Alltagsintuition verlässt uns bei der Einschätzung von ‚Klimawandel‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ schmählich. Dazu sind beide Begriffe unscharf und unterbestimmt. Sie beziehen sich vielmehr auf ein weites Feld von Erkenntnissen und Maßnahmen, die zu allererst zur Kenntnis genommen, dann aber abgewogen und konkretisiert werden müssen. Zwischen langfristigen Zielen und kurzfristigen Wirkungen gilt es ebenso zu unterscheiden wie zwischen dem Nah- und den Fernbereich. Um letzteres geht es mir hier: um persönliches Verhalten im Kontext globaler Verflechtungen.

Es liegt ja auf der Hand, dass nicht alles, was im nahen privaten Umfeld und Handlungsbereich liegt und irgendwie ökologisch sinnvoll erscheint, im größeren sozialen und internationalen Zusammenhang ebenso sinnvoll sein muss. Das Zitat oben zeigt es an einem Beispiel. Ebenso ist es eine Binsenweisheit, dass der erste Blick und die erste Intuition oft trügen, wenn man sich die Sache näher anschaut. In verschiedenen Zusammenhängen fallen die Bewertungen unterschiedlich aus. Als Beispiel hierfür kann die inzwischen fast vollständig verbotene Plastiktüte gelten: Klar, Vermeidung von Plastikmüll scheint sinnvoll, damit er uns nicht am Strand und im Meer als Müll wiederbegegnet und womöglich in die Nahrungskette gelangt. Ein typischer Kurzschluss: Im Kontext der Verschiffung von Plastikmüll auf wilde Deponien ferner Länder ist Vermeidung von Wegwerfprodukten aus Plastik wie Tüten und Flaschen sinnvoll. Bei vernünftiger Entsorgung hierzulande, wie es vom Gesetzgeber vorgesehen ist, sieht die Sache anders aus. Papiertüten als Tragetüten in Supermärkten sind nämlich keineswegs so umweltfreundlich und klimaschonend wie vermutet. Schnell gegoogelt zeigt: „Papier ist sogar schlechter als Plastik“: Warum Plastiktüten nicht die schlimmsten Umweltsünder sind – siehe quarks.de, br.de, watson.de und viele mehr. Die Papiertüte ist ein technologisch aufbereitetes komplexes Produkt, dessen Herstellungsweise (Wasserverbrauch) nicht einmal der einzige Negativpunkt ist. Plastik lässt sich leicht wiederverwenden und recyceln. Also: Intuition „Papier besser als Plastik“ ist falsch.

So geht es in vielen Bereichen und vor allem dort, wo wir meinen, durch „nachhaltiges“ privates Verhalten etwas Richtiges zu tun: Zur Arbeit mit dem Rad statt mit dem Auto zu fahren, regionale Produkte zu kaufen und voll auf „Bio“ zu setzen, Strom nur noch aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse zu gewinnen. All dies ist mehr oder weniger ambivalent. Schauen wir uns die Beispiele einmal näher an, – sie scheinen in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion ja nahezu alternativlos, also ohne weitere Diskussion klar und eindeutig. Dem ist nicht so.

Collage: Shutterstock.com/FotoIdee und pikepicture | acatech.de

(I) Das Fahrrad statt das Auto zu benutzen, vielleicht noch in Kombination mit der Bahn, ist für sich gesehen kaum strittig. In großen Städten mit gut ausgebauter Fahrradweg-Infrastruktur plus S-Bahnsystem ist das sogar vom Zeitaufwand her kaum nachteilig. Und mit dem Auto alleine in die City einer Großstadt zu fahren, ist sicher so ziemlich das Unsinnigste, was man tun kann, hinsichtlich Ressourcenverbrauch beim KFZ (Fahren und Parken). In Kleinstädten und auf dem Land sieht das allerdings ganz anders aus, und dort lebt mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung:

„In Dörfern, Gemeinden und Städten auf dem Land leben mehr als die Hälfte der Einwohner unseres Landes. 80,8 Mio. 46,9 Mio.“ schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

http://multimedia.gsb.bund.de/BMEL/LRgrafiken/media/karte_0/BMEL_LR_Infokarte_LaendlicheRaeume.pdf

Dort ist das Auto auf absehbare Zeit hin nicht zu ersetzen. Die Frage ist dann, welchen Antrieb Autos künftig haben sollen. Die Antwort der meisten in Politik und Gesellschaft ist inzwischen klar: Elektromobilität. Das macht ein großes Fass auf, das ich hier nicht verfolgen will. Nur soviel sei angemerkt: Elektromobilität hängt von der Infrastruktur ab, sprich vom dichten Netz von Schnellladestationen; diese setzen eine Anbindung an leistungsfähige Stromnetze voraus, die in Deutschland entscheidend von neuen Stromtrassen von Nord nach Süd abhängen. All dies ist erst rudimentär vorhanden, wie gesagt, abgesehen von Großstädten und Ballungsräumen, und der Ausbau geht sehr schleppend voran. Zudem ist die Verfügbarkeit von ausreichend Strom für Verkehr und Produktion noch keineswegs gesichert, die erforderlichen Strommengen für eine Energiewende insbesondere in der Produktion (Stahl aus Wasserstoff aus Strom) sind noch nicht bekannt. Also eine offene Rechnung, die solide Planung kaum möglich macht.

Der zweite Gesichtspunkt bei der Elektromobilität betrifft die Länder in den nicht so industrialisierten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Dort werden Autos mit Verbrennermotoren noch viele Jahrzehnte lang die einzige Möglichkeit sein. Auch dort gilt aber, dass in den Ballungsräumen und Großstädten andere Regeln und Perspektiven gelten – sofern denn der Wille und das Geld für eine Energiewende vorhanden sind. Dabei könnten und sollten deutsche Industrie und Politik materiell helfen und unterstützen*)! Denn noch wächst die Kohleförderung und die Stromproduktion aus Kohle weltweit weiter durch Zubau von Kohlekraftwerken, wenn auch gebremst. Eine Veränderung hierzulande auf nationaler Ebene ist nur ein Teilaspekt, der durch die globale Perspektive ergänzt werden muss. Nur am Rande vermerkt sei der aktuelle Streit in Deutschland über die Absicht der EU, Gaskraftwerke und Kernkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als „grün“ und klimaneutral anzuerkennen („Taxonomie“). Nationale und internationale Interessen und Perspektiven der Energiesicherung sind hierbei unauflöslich verflochten. Eine einseitige Sicht gibt die Problemlage nicht angemessen wider. Es wird sich zeigen: Dies gilt ganz generell.

(II.) Auf regionale Produkte zu setzen und biologische Landwirtschaft zu bevorzugen scheint viel einfacher zu sein. Hierbei hat der Verbraucher durch seine Kaufentscheidungen sicher den unmittelbarsten Einfluss. Regionale Produkte haben den Vorteil kurzer Transportwege bei gleichzeitiger Unterstützung regionaler Erzeuger. Bioprodukte versprechen weitgehende Freiheit von Schadstoffen (z.B. Pestiziden) bei der Produktion sowie artgerechte Tierhaltung – kurz gesagt. Nachteilig ist allerdings, dass Bioprodukte im Allgemeinen teurer sind, weil der Arbeitsaufwand bei der Produktion höher ist (z.B. mechanische Entfernung von Unkraut) und vor allem, dass die Produktivität bei Bioprodukten, also der Ertrag je Hektar, deutlich geringer ist als beim konventionellen Anbau, nämlich um 20% (Möhren) – 50 % (Getreide) geringer ausfällt. Damit ist eine entsprechend größere Anbaufläche erforderlich, um dieselbe Produktionsmenge zu erzielen. „Alles auf Bio umstellen“ würde also schon durch das Fehlen der nötigen Flächen nicht funktionieren. Außerdem ist die betriebswirtschaftliche Rechnung für die Bewertung konventioneller oder bio-ökologischer Betriebsführung durchaus zwiespältig, siehe die Gegenüberstellung im Deutschen Landwirtschaftsverlag mit dem Fazit:

Fakt ist aber: Mit diesen Mengen könnte man den heimischen Markt insgesamt kaum versorgen. Zudem würde ein Rückgang der Agrarproduktion, aufgrund der geringeren Produktivität im Biolandbau – ohne eine deutliche Senkung des Verbrauchs – zur Verlagerung der Produktion ins Ausland führen. Das hätte dann negative Folgen für die Umwelt und die Qualitätsstandards – wie Studien zeigen.

Wenn man sich wegen des Geschmacks oder der erwarteten besseren Qualität für Bio-Produkte entscheidet, weil man es sich leisten kann, sind dafür fast ausschließlich subjektive Gründer ausschlaggebend. Ob damit für die Umwelt bei uns oder in fernen Ländern etwas gewonnen ist, bleibt zweifelhaft, besonders dann, wenn die Lage ausländischer Produzenten wie der eingangs zitierten Bauern in Kenia und Peru mit berücksichtigt wird. Zur Beurteilung der ‚fernen‘ ökologischen und sozialen Situation sind weitere Informationen erforderlich; auch dort die Umstellung der Landwirtschaft auf ökologischen Anbau zu fordern, ist von hier aus leicht gesagt und verkennt die Marktsituation, dass diese Produkte schwerer abzusetzen sind und deutlich höhere Preise erfordern (z.B. Kaffee aus biologischem Anbau von Kooperativen) und diese dann nur von einer kleinen Gruppe der Verbraucher bezahlt werden wollen und können. Die jüngste Äußerung des neuen Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir, Lebensmittel müssten einfach teurer werden, um nicht mehr „Ramschware“ zu sein (oder: der Preis müsse „die ökologische Wahrheit“ stärker ausdrücken), verrät geringes Problembewusstsein für wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge, – ein Beispiel ideologisch verbrämter Überheblichkeit.

Auch bei diesem Thema zeigt sich die Kluft zwischen dem, was die persönliche Intuition als sicher richtig und wünschenswert verspricht, und der wirtschaftlichen, sozialen und internationalen Faktoren landwirtschaftlicher Produktion und der Ernährungslage weltweit. Zumindest allerdings dürfte der eigene Konsum biologischer Produkte von denjenigen, die es sich leisten können, kaum in irgendeiner Hinsicht schädlich sein, – und das ist doch auch schon etwas.

(III.) Zur „Energiewende“ ist bereits unter (I.) einiges gesagt worden. Es soll noch ein weiterer, grundsätzlicher Aspekt ergänzt werden. Energiegewinnung durch Kohle und maschinelle Energienutzung mit einem Vielfachen von „Pferdestärken“ (Dampfmaschine) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, verbunden mit der Beschleunigung des Verkehrswesen durch die Dampfeisenbahn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Grundlagen dessen, was wir die industrielle Revolution der Neuzeit nennen: der Beginn des Industriezeitalters. Kohle und später Erdöl und Erdgas (bedeutsam ab Ende 19. / erste Hälfte des 20. Jahrhunderts) wurden die energetischen „Treibstoffe“ für eine weltweite Revolution in der Produktion und Verteilung von Gütern und Waren, die immer mehr möglichst preiswerte Energie verlangten. Die nächste Stufe war dann die digitale Revolution, die mit der Erfindung und Nutzung integrierter Schaltkreise Mitte des 20. Jahrhunderts begann. Auch diese Entwicklung ging mit einer Erhöhung des Energiebedarf einher; heute verbrauchen die Datenzentren rund um den internationalen Netzknoten DE-CIX in Frankfurt mehr Energie als der Frankfurter Flughafen. Ein Ende des Energiehungers in der Welt ist nicht abzusehen, im Gegenteil: Noch nicht so hoch technisierte Länder suchen Anschluss zu gewinnen an die modernen globalen Industriegesellschaften und brauchen dafür natürlich Energie. Allerdings sehen wir inzwischen nach fast zwei Jahrhunderten (westlicher) Industriegesellschaft, wohin es führt, wenn dafür massenhaft fossile Brennstoffe gefördert und verbrannt werden. Millionen von Jahren alte gespeicherte Energie wird dadurch gewonnen – und Kohlendioxid CO2 freigesetzt. Die Folge davon ist der Klimawandel, den wir heute weltweit erleben – mit ziemlich katastrophalen Aussichten. „Stopp!“ zu rufen, ohne den berechtigten Bedarf noch junger Industriegesellschaften in Asien, Afrika und Lateinamerika zu befriedigen, ist weder moralisch noch wirtschaftlich und sozial zu rechtfertigen. „Energiewende“ ist bei uns in Europa und Nordamerika das Schlagwort geworden für einen Weg, der aus der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen herausführen und zu klimaneutraler nachhaltiger Energiegewinnung hinführen soll. Wir „reichen“ Länder haben dafür die Mittel – und kaum eine Alternative. Aber wie sieht das bei der großen Zahl von Ländern aus, die weiterhin auf billige fossile Energie angewiesen sind, wenn sie dazu keine Alternative sehen? Wie rauskommen aus dieser globalen Klemme? Das ist die Jahrhundertfrage. Die kann ich hier natürlich nicht beantworten, aber ich kann auf zwei Gesichtspunkte hinweisen.

1. ) Die Entwicklung der Industrialisierung auf der Basis fossiler Energie, die seit zweihundert Jahren im Gange ist und zu kolossalen Veränderungen (einschließlich Kolonialismus) geführt hat, lässt sich kaum in wenigen Jahrzehnten umkehren oder umlenken. Es wird vermutlich mindestens die Hälfte der vergangenen Zeit erfordern, und dann wäre es noch sehr schnell. Die „Transformation der Industriegesellschaft“ innerhalb einer Dekade ist zwar ein schöner politischer Programmpunkt, aber offensichtlich eine Illusion. Da die Klimaerwärmung mit all ihren Folgen nicht wartet, brauchen wir eine beharrliche und konsequente Strategie, die zwischen Maßnahmen, die kurzfristige Wirkungen erzielen, und langfristigen Maßnahmen, die zur Strukturveränderung beitragen, unterscheidet. Bei allen nationalen und vor allem internationalen Maßnahmen gilt es diejenigen zu bevorzugen, die zahlenmäßig den größten Nutzen / größte Wirkung versprechen. Dabei müssen zugleich Anpassungen an und Schutzmaßnahmen gegen die unmittelbar zu erwartenden Folgen des Klimawandels vorgenommen werden (siehe früheren Artikel „Herausforderungen und Kosten“ hier im Blog). Bei allem gilt es, die ökonomischen und sozialen Auswirkungen im Fokus zu behalten. Eine Gesellschaft kann nur „transformiert“ werden, wenn der soziale Friede gewahrt bleibt, sprich: wenn Arbeit und Wohlstand sozial ausgewogen verteilt und langfristig gesichert bleiben. Ohne einen erfolgreichen Wettbewerb wird auch unsere Industrie international nicht bestehen können. Die Kosten werden von uns allen aufgebracht werden müssen, so oder so.

2.) Nicht alles, was uns unsere Intuition als richtig angibt und was unsere Phantasie als wünschenswert ausmalt, hält einer Überprüfung durch die Realität stand, also im Blick auf die nationalen und globalen Zusammenhänge. Klimapolitik ist in erster Linie Politik, und das bedeutet die Kunst des Möglichen und das Bohren dicker Bretter, – vor allem durch dazu Berufene und Gewählte, aber auch durch Interessierte und Engagierte. Ideologien eher grüner Provenienz und Dogmatismus aus der ‚grauen‘ Anfangszeit der Partei in Bezug auf das, was wir immer schon zu wissen meinten oder als Ziel gewollt haben, helfen da wenig weiter, – im Gegenteil. Unter Klimagesichtspunkten sollte darum auch der deutsche Sonderweg in der Frage der Atomenergie überdenkenswert sein, Stimmen dafür mehren sich auch hierzulande. Solche Tabus dürfte es nicht geben. Es braucht sehr viel neue Ideen, politische und technische Phantasie, unternehmerischen Mut, gesellschaftliche Wandlungsbereitschaft und soziokulturellen Austausch (warum ticken Nachbarländer in der Klimafrage oft so anders?), um wirkliche Veränderungen zu mehr Nachhaltigkeit in Gang zu setzen. Der zeitliche Druck wächst. Darum reicht es auch nicht aus, nur gewisse persönliche Verhaltensweisen zu kultivieren mit der Absicht, halt mit gutem Beispiel voranzugehen. Das ist subjektiv löblich und pädagogisch sinnvoll, auch wenn es tatsächlich wenig bewirkt – und oftmals nur den eigenen Wohlfühlfaktor erhöht. Das ist kein Vorwurf, denn uns als Einzelpersonen bleibt meist gar nichts anderes übrig, etwas sinnvoll zur Änderung der Mentalität im Klimawandel beizutragen. Man sollte sich aber der Begrenztheit und des Symbolcharakters solcher individuellen Verhaltensweisen klar sein. Zugleich muss man sich schon um mehr Informationen und um den weiteren Blick auf die globalen Zusammenhänge bemühen, der zu dem notwendigen langen Atem motivieren kann, denn den wird es zweifellos brauchen. Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, ist die Devise!

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