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Führung erwünscht?

Bundesverteidigungsminister de Maizière hat in München eine beachtenswerte Rede gehalten. Er fordert mehr Verpflichtung und Führungsqualität für die deutsche Politik. Seine Botschaft ist nicht zu übersehen, wenn man genau hinschaut. Ein guter Grund, sich darüber eine Meinung zu bilden und auch im Netz zu diskutieren.

Bundesverteidigungsminister de Maizière hat zur Eröffnung der Münchener Sicherheitskopnferenz eine bemerkenswerte Rede gehalten. Die Berliner Morgenpost titelte „Deutschland fordert Führungsrolle“ und schrieb:

Verteidigungsminister Thomas de Maizière provoziert. Ganz bewusst. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz fordert er eine deutsche „Führungsrolle“ ein. Deutschland, so sein Credo, müsse ökonomisch und auch militärisch endlich eine Führungsrolle in Europa übernehmen.

Das hatte de Maizière so zwar nirgendwo gesagt, aber diese Tendenz kann man durchaus als nicht unzutreffend kennzeichnen, wenn man den Wortlaut der Rede liest. Immerhin stellt de Maizière zu Beginn seiner Rede fest:

„Die Rolle Deutschlands in der Welt“ – unter diesem Gesichtspunkt wollen wir die aktuellen Herausforderungen in unserem ersten Panel diskutieren. Lange Zeit wäre alleine diese Fragestellung, insbesondere die Frage nach der militärischen Rolle oder Verantwortung Deutschlands, einem Tabubruch gleichgekommen.

Es ist dem Minister also durchaus bewusst, dass er hier sehr prononciert formuliert, vielleicht sogar provoziert. Aber er ordnet seine Ansicht in einen geschichtlichen Rückblick ein und lenkt von dort aus den Blick auf die ökonomisch bestimmte Gegenwart:

Eine gesteigerte Eigenständigkeit oder gar eine Führungsrolle in der Welt war jedoch weder von innen gewollt – aber auch nicht von außen gewünscht – und auch das war verständlich. Und ebenso offen will ich sagen, dass vielen unserer Bündnispartner eine starke ökonomische Rolle der Bundesrepublik Deutschland, aber gleichzeitig eine schwache sicherheitspolitische Rolle durchaus Recht war. Das alles ist vorbei wenn auch vielleicht noch nicht in allen Köpfen.

Sehr klar beschreibt de Maizière die neue weltpolitische Situation; die Nachkriegszeit mit ihren Ordnungen und Unterordnungen ist definitiv vorbei. Damals war zu viel Eigenständigkeit Westdeutschlands in der Tat nicht gern gesehen, von „Führungsrolle in der Welt“ schon gar nicht zu reden. Aber was meint de Maizière? Soll sich das nun ändern? Man kann ihn so verstehen. Dann würde er indirekt für mehr weltpolitisches Gewicht Deutschlands plädieren. Das liegt im Duktus der Rede. Aus meiner Sicht ist das recht offen gesagt und auch politisch und sachlich angebracht. Es entspricht den Fakten, wie sie sich entwickelt haben. Darauf weist de Maizière zu Recht hin.

Viele unsere Partner sehen uns längst als „gleichberechtigten“ und damit auch „gleichverpflichteten“ Partner an. In Europa wird im übrigen im Moment eher über zu viel deutsche Führung als über zu wenig deutsche Führung die Stirn gerunzelt.

Das bezieht sich natürlich auf das mediale Meckern gegenüber den „Diktaten“ von Frau Merkel in der Presse in Griechenland, Spanien, Portugal und – vorsichtiger – Italien, also der Südschiene. Andere europäische Partner wie Polen (siehe unten) fordern ausdrücklich mehr Führung durch Deutschland.

Seit 1990, seit der Wiedererlangung der vollen Souveränität, hat unser Land ziemlich schnell einen langen Weg zurückgelegt. Wir nehmen aus guten Gründen schon jetzt mehr internationale Verantwortung wahr als wir es manchen unserer Bürger vermitteln können. Mentalitäten verändern sich langsamer als die Lage.

Das ist dann die andere Seite der Medaille. Der kritischen Öffentlichkeit, zumindest einem lautstarken Teil der Linken und öko-pazifistischen Akteuren, ist dies alles schon zu viel und ein Dorn im Auge. Auch der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ist nicht sonderlich beliebt, glaubt man den Meinungsumfragen. Aber was war und ist die Alternative? Man kann schlecht als ökonomisches und politisches Schwergewicht in der Ecke sitzen und sich jeglichen Engagements verweigern. Wohin das führt, konnte man an der UN-Libyen-Resolution und der fatalen deutschen Enthaltung dazu international gut studieren.

In Afghanistan haben wir als einzige Nation außer den USA seit 2007 die Führung einer Region des RC North inne. Wir sind einer der größten Truppensteller. Die Bundeswehr kann kämpfen und führen.

Ein mutiger und selbstbewusster und berechtigter Satz, dieser letzte. Immer wieder konnte man in der Vergangenheit lesen, wie hoch geachtet der deutsche militärische Beitrag in Afghanistan von EU und NATO – Partnern geschätzt wird. Wir sollten stolz sein, dass wir eine engagierte und hoch qualifizierte und auch motivierte Armee haben, die auch bereit ist, Opfer zu bringen, im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber müsste hierzulande noch sehr viel deutlicher und offener geredet werden. Wir können durchaus stolz sein auf unsere Bundeswehr. Ich schreibe das bewusst so zugespitzt.

Europas Streitkräfte müssen leistungsfähiger werden. Sie müssen belastbarer und durchhaltefähiger werden. Und sie müssen NATO-komplementär europäischer plan- und führbar werden. Kurz: Wir müssen mehr können (Fähigkeitsprofil). Und wir müssen mehr gemeinsam können.
Deutschland wird dazu weiterhin einen großen Beitrag leisten und – wo nötig – auch vorangehen.

Das steht es denn, das Wörtchen „vorangehen“, eine Umschreibung des „Führen“, zwar im europäischen Kontext, klar und selbstverständlich, dort aber durchaus auch „führend“. Das wäre neu, jedenfalls nach außen hin kommuniziert. Das sollte in der Öffentlichkeit ankommen und diskutiert werden.

Das Ministerium selber versteckt sich in der Pressemitteilung über die Rede des Ministers hinter allgemeinen und europäisch unverbindlichen Äußerungen, die der Minister auch getan hat, die aber seine Zuspitzung vermissen lassen. War der Pressestelle das Eisen zu heiß? Auch beim weiteren Stöbern in den Presseartikeln fand ich nichts außer dem tatsächlich zugespitzten Artikel der Berliner Morgenpost.

Vielleicht nutzen einige Blätter und ihre Online-Portale ja die Sonntag-Ausgaben zu einer besseren Berichterstattung über diese Positionierung des Verteidigungsministers. Das wäre jedenfalls sachlich geboten und wünschenswert. Auch in Blogs und bei Twitter habe ich dazu kaum etwas gefunden, es interessiert die Online-Welt offenbar nicht. Statt dessen rührt sie in dem alten Topf ACTA weiter herum oder beschäftigt sich mit ihrem Lieblingsthema: mit sich selbst.

Oder man berichtet begeistert von den Demonstrationen einiger Hundert in München gegen die Sicherheitskonferenz – oder über die Demos gegen Fluglärm, Landebahnen, Bahnhöfe. Das ist den biederen Deutschen allemal wichtiger. Und den Medien auch, online ebenso wie auf Papier. Nicht so viel Neues im Land der Zipfelmützen!

Da sei doch noch der Ausspruch des polnischen Außenminister nachgetragen, wie er im FOCUS zu lesen steht:

Polens Außenminister Radoslaw Sikorski sagte zuletzt: „Ich bin wahrscheinlich der erste polnische Außenminister in der Geschichte, der das sagt, aber hier ist es: Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten.“

Das ist doch weiß Gott ein Thema für Diskussionen!