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Krieg Politik

Vorkriegszeit

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit der Invasion am 24. Februar 2022 hat seine Vorläufer im Krieg Russlands gegen Georgien (Abtrennung von Abchasien und Südossetien) 2008 und die russische Okkupation der Krim und des Angriffs auf den Donbass („grüne Männchen“) ab 2014. Schon 1991 – 1998 führte der Zerfall Jugoslawiens zu blutigen Kriegen, in die sowohl Russland als auch Europa und die NATO verwickelt waren. Dennoch waren es klar begrenzte Kriege, die neue Grenzen zogen. Damit wurde die KSZE -Schlussakte von Helsinki 1975 obsolet, in der sich die Unterzeichnerstaaten auf die Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa verständigt hatten. Zeitlich parallel verläuft der immer wieder von Waffengängen unterbrochene Konflikt zwischen Armenien und Bergkarabach, zuletzt mit Kämpfen 2020. Insofern kann es schon als Euphemismus erscheinen, die Zeit nach 1945 bis heute als „Friedenszeit“ zu bezeichnen. Nur zwischen den (west-) europäischen Staaten und Russland herrschte Frieden, wenn man den „Kalten Krieg“ als Friedenszeit rechnet. Friedenseuphorie und unglaubliche Utopien beherrschten nach 1989/90 mit dem Fall der Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion die öffentliche politische Debatte. Höhepunkt der Illusion war der vielfach zitierte Satz „Deutschland ist nur noch von Freunden umgeben“ (Westerwelle), der fatale Folgen gehabt hat bis heute (siehe Ischinger-Interview 31.08.2018 im Spiegel „Wir erleben einen Epochenbruch“). Wir sprechen also sehr selbstbezogen von „Friedenszeiten“, weil wir im westlichen Europa, vor allem in den Ländern der EU, bisher nie da gewesene Prosperität, Wohlstand und eben Frieden erlebt haben. Das „Friedensprojekt“ Europäische Union hat sich ausgezahlt. Es hat aber auch einen Preis gehabt. Das zeigt sich heute. Die von Scholz erklärte „Zeitenwende“ hat nicht 2022 stattgefunden, sondern schon viel eher, Ischinger sprach schon 2018 von „Epochenbruch“. Es hat nur lange gedauert, bis wir hierzulande aus unserem Dornröschenschlaf aufgewacht sind, weil wir durch Russlands Überfall aufgeschreckt wurden. Noch immer sind die Reflexe stark, die diese Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen. Rechte, Linke und Ostermarschierer neben einigen Linksintellektuellen geben davon erschreckendes Zeugnis ab. „Lieber rot als tot“, hieß es bei den Friedensfreunden in der Nachrüstungsdebatte 1979 – 1983, heute heißt es eher, lieber unterworfen und vergewaltigt als Widerstand und Kampf. Die Ostermarschierer bringen ihre Parolen derzeit wieder auf die Straße, naiv, unbelehrbar, geschichtsvergessen.

„Vorkriegszeit“, das gilt heute weltweit, insbesondere in Eurasien und im pazifischen Raum. „Seit dem Zerfall der Sowjetunion war die Lage nie gefährlicher als heute“, sagte Wolfgang Ischinger bereits 2018, und das gilt heute erst recht.

  • Russlands Überfall auf die Ukraine und ihr anschließend vom Westen unterstützter Verteidigungskrieg birgt noch eine Menge weiteres Konfliktpotential, weniger atomar (Putins psychologische Kriegführung) als im Blick auf Russlands neu abgesteckten Anspruch auf eine Einflusszone, welche dem Herrschaftsbereich der UdSSR entspricht. Unmittelbar betroffen sind wohl neben der Ukraine Belarus (hat sich faktisch schon ergeben) und Moldau. Auch unsere Freiheit wird tatsächlich derzeit in der Ukraine verteidigt. Aber auch die Südostflanke Europas Richtung Tschetschenien und Georgien kann jederzeit wieder kriegerisch aufflammen.
  • China und sein zunehmend aggressives Auftreten unter Xi Jingping, dem Lebenszeit-Diktator, richten sich zunächst vorwiegend auf den pazifischen Raum. Neben der Bedrohung Taiwans ist die faktische Beanspruchung des südchinesischen Meeres enorm konfliktträchtig. Im Falle einer Invasion Taiwans würde China die Durchfahrt wohl abriegeln, die Mittel dazu besitzt es. Noch halten die USA nachdrücklich dagegen. Aber auch Australien, Neuseeland und Indonesien sind aus berechtigten Gründen beunruhigt und zunehmend verteidigungsbereit.
  • Nordkoreas Auftreten wird immer aggressiver, seine atomaren Drohungen klingen angesichts der getesteten Raketen keineswegs hohl. Es ist wohl weniger mit direkten militärischen Aktionen gegen Südkorea zu rechnen als mit Überraschungsmaßnahmen im Windschatten anderer Konflikte.
  • Alle drei genannten Staaten brauchen außenpolitische Drohungen und militärische Konflikte, um den politischen Druck im Innern hochzuhalten und von Problemen abzulenken. Es sind Diktaturen mit der ihnen eigenen Logik: Druck aufbauen, Wachsen – oder Weichen, Machtverlust. Kooperation mit China ist nur noch ein ökonomisches Mäntelchen, allerdings für Peking notwendig, weil China wirtschaftlich noch zu sehr abhängig ist vom Westen. Es tut alles, das zu verringern. Der Westen sollte dem nicht noch blauäugig Vorschub leisten, zumindest Reziprozität sollte im Handel und beim wirtschaftlichen Austausch zu erwarten sein, bei Peking bisher Fehlanzeige.
  • Eine immer noch von Illusionen und Wunschträumen geleitete europäische, insbesondere französische Außenpolitik (wie gerade wieder von Frankreichs Präsident Macron in Peking an den Tag gelegt, ein Warnruf für die EU) hat erhebliches Konfliktpotential. Nicht die waffen- und militärtechnische Unterstützung der Ukraine ist riskant, vielmehr kann das Zögern und Unterlassen als Schwäche des Westens verstanden werden. Putin setzt genau darauf. Scholz‘ „Zeitenwende“ dringt nur sehr allmählich in die Köpfe und in politische Konsequenzen. Wahltaktische Überlegungen der Parteien (nicht nur in der Regierung) haben immer noch Vorrang vor der notwendigen Sicherheitsvorsorge in Deutschland, – und das bezieht sich keineswegs nur auf die Klimapolitik. Diese droht als moralisches Feigenblatt ernsthafte Konsquenzen in Militär- und Außenpolitik zu verhindern. Damit leistet Deutschland einer wachsenden Bedrohung Vorschub, denn nur überzeugend gerüstete und abwehrbereite Länder können machthungrige Diktatoren von weiteren Aggressionen abhalten.

Viele Anzeichen verdichten sich, die einen historisch denkenden politischen Beobachter frösteln lassen. Weltpolitisch riecht es nach „Vorkriegszeit“. Wieder wird an großen Rädern in einem großen Spiel um die globale Macht gedreht; ein neues „Great Game“ bahnt sich an, nur dass diesmal statt England die USA und China von entscheidender Bedeutung sind. Für uns in Europa und insbesondere für uns in Deutschland, die wir nur mit soft power (Wirtschaft) ohne hard power (Militär) ausgestattet sind, gilt, dass wir mit der Schwächung unserer Wirtschaft so ziemlich unsere einzigen Mittel zur Reaktionsfähigkeit und Selbstbehauptung verlieren. Ein rascher wirtschaftlicher Umbau ist nicht nur ökologisch, sondern sicherheitspolitisch dringend geboten. Ein Zusammengehen mit den USA ist nicht nur unausweichlich, sondern überlebenswichtig. Damit wir aber dafür überhaupt ernst zu nehmende Partner sind, müssen wir schon einiges investieren und Widerstandsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft stärken. Die Gesellschaft gilt es insgesamt sehr viel resilienter zu machen und auf große Konflikte vorzubereiten – im Blick auf die Klimapolitik ebenso wie hinsichtlich der geopolitischen Realitäten und Herausforderungen. Noch haben wir es wenigstens zum kleinen Teil in der Hand, dass aus der „Vorkriegszeit“ keine „Weltkriegszeit“ wird. Defätismus, Anbiederung und Friedenstauben helfen dagegen überhaupt nicht. Sie sind eher kontrakproduktiv, das heißt Konflikt und Bedrohung verschärfend.

„Si vis pacem para bellum – Wenn du Frieden willst, sei bereit zum Krieg.“ Eine alte römische Wahrheit, die immer noch gilt.

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