Ein Artikel von Malte Lehming im Tagesspiegel (plus) stellte jüngst die Frage: „Droht mit Trump die Diktatur?“ und fährt fort: „In US-Medien wird inständig gewarnt.“ Er geht von einem anscheinend „diabolischen Gesetz“ aus: „Je lauter und inständiger vor Donald Trump gewarnt wird, desto mehr Menschen geben an, ihn statt Joe Biden wählen zu wollen.“ In aktuellen Umfragen führt Trump knapp vor Biden, und was immer dieser an Erfolgen seiner Regierung vorweisen kann – “ die niedrige Arbeitslosigkeit, das Infrastrukturprogramm, das Wirtschaftswachstum, den Rückgang der Inflation, den Klimaschutz – es nützt ihm nichts. Trump dagegen muss sich in vier Gerichtsverfahren seiner Haut erwehren – und wird stetig beliebter.“
Lehming berichtet über zwei Artikel, jeweils einen in der Washington Post von Robert Kagan und einen von drei renommierten Journalisten in der New York Times, die beiden Artikel sind im Tagesspiegel verlinkt. Kagan ist einer der bekanntesten Intellektuellen in den USA, Politikberater, Spezialist für internationale Politik und war einst ein Aushängeschild der neokonservativen Republikaner. „Seine Wandlung zum liberalen Weltdeuter macht ihn zu einem glaubwürdigen Warner vor einer erneuten Präsidentschaft Donald Trumps.“ schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Die beiden Artikel in den größten liberalen Zeitungen US-Amerikas sind im Original absolut lesenswert, aber das Referat beider Analysen im Tagesspiegel gibt schon einen hinreichenden Einblick. Während Kagan ausführlich darstellt, welche Erfahrungen, Misserfolge und Linien aus der ersten Präsidentschaft Trumps eine mögliche zweite Präsidentschaft prägen und umgestalten werden in Richtung auf eine ‚lupenreine‘ Diktatur, und welche Möglichkeiten aufgrund der heutigen zugespitzten Bedingungen und grundlegenden Voraussetzungen in der amerikanischen Gesellschaft und Politik dafür gegeben sind, richten die drei Autoren der New York Times ihren Blick vor allem auf eine genaue Darstellung dessen, was Trump als Präsident bereits getan, versucht und angestoßen hat („Donald Trump hat schon lange autoritäre Züge“), – nennen Tatsachen und Initiativen, die noch nicht alle in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Beide Artikel zusammen geben ein dramatisches Bild der amerikanischen Demokratie ab:
„Schien es vor acht Jahren buchstäblich unvorstellbar, dass ein Mann wie Trump gewählt werden könnte, so wurde dieses Hindernis 2016 aus dem Weg geräumt“, schreibt Kagan. „Schien es unvorstellbar, dass ein amerikanischer Präsident nach einer Wahlniederlage versuchen würde, im Amt zu bleiben, wurde diese Hürde 2020 genommen.“
„Wenn niemand glauben konnte, dass Trump, nachdem er erfolglos versucht hatte, die Wahl für ungültig zu erklären und die Auszählung der Stimmen im Wahlkollegium zu stoppen, 2024 als unangefochtener Führer der Republikanischen Partei und ihr Kandidat zurückkehren würde, nun, auch dieses Hindernis wird bald beseitigt sein.“ Innerhalb weniger Jahre hätten sich die USA von einer relativ sicheren Demokratie in ein Land verwandelt, das nur noch ein paar Schritte und Monate von einer möglichen Diktatur entfernt ist.
Washington Post, Robert Kagan
Die Autoren der New York Times kommen zu einem ähnlichen Ergebnis wie Kagan: „Donald Trump hat schon lange autoritäre Züge, aber seine Politik ist ausgefeilter geworden, und die Puffer, die seine Machtausübung einst begrenzt hatten, sind schwächer.“ Der Trump des Jahres 2024 sei wütender und gefährlicher für die Demokratie nach amerikanischem Vorbild als in seiner ersten Amtszeit.“
Statt mit „Achselzucken oder Alarmismus“ darauf zu reagieren, wäre doch ein ernsthafter politischer Realismus von Nöten, der die Konsequenzen aufzeigt, die eine solche möglicherweise dramatische Entwicklung in den USA für die NATO, Europa und Deutschland haben würde.
Entzieht ein Präsident Trump II wie angekündigt der NATO die Unterstützung, steht Westeuropa verteidigungspolitisch weitgehend „blank“ da: Ohne die maßgebliche Präsenz der USA in der NATO und in Ländern Europas bricht die Verteidigungsfähigkeit Europas in sich zusammen. Es fehlt dann nicht nur der atomare Schutzsschirm, sondern es fehlen dann auch die politischen, militärischen, logistischen Strukturen. Dann ist es kaum damit getan, dass Europa ein wenig höhere Verteidigungslasten trägt (2 % Ziel), sondern da würde sehr, sehr viel mehr erfoderlich sein. Selbst ein nur allmählicher Rückzug der USA aus den europäischen Verteidigungsstrukturen würde unmittelbar steigende Militärausgaben bei den europäischen NATO-Mitgliedern erfordern – „allmählich“ dürfte allerdings im Denken Trumps kaum vorkommen. Die Ukraine-Unterstützung ist bereits heute durch die Blockade der Republikaner in Washington infrage gestellt. Was da auf uns zukommt, vermag man sich noch kaum vorzustellen. Das alles geschieht im Zusammenhang und auf dem Hintergrund der selbstgefälligen Einschätzung mancher in Europa, man können die Ukraine ruhig Putin überlassen, – was gehe das uns an? Dazu schreibt der Politikwissenschaftler Eugene Finkel im österreichischen „Standard“:
Die „Kriegsmüdigkeit“ des Westens wird auch dazu führen, dass in Europa noch viele Jahre lang Krieg herrscht. Die Ukraine wird den höchsten Preis dafür zahlen, aber ich glaube nicht, dass die Entscheidungsträger in der EU verstehen, dass auch ihre Länder dafür zahlen werden. Die EU ist nicht bereit für einen langen Krieg an ihren Grenzen.
Der Standard
Ein Präsident Trump II mit diktatorische Macht auf dem nordamerikanischen Kontinent führte zu weitreichenden geopolitischen Konsequenzen. Europa wäre auf einmal anstatt von westlichen Partnern von einer weiteren erratischen Diktatur ‚umgeben‘: USA unter Trump II – Russland unter Putin – China unter Xi. Das verrückt alle Koordinaten der Politik seit 1945. Wirtschaftlich dürften die USA unter einem Alleinherrscher Trump II kaum ein angenehmer ‚Partner‘ sein, und damit steht und fällt das westeuropäische Wirtschaftsmodell mit seiner engen Verzahnung mit Nordamerika. Wie schwierig der wirtschaftspolitische Umgang mit dem China Xis ist, zeigt sich inzwischen deutlich. Es dürfte offensichtlich sein, dass nicht nur der Frieden, sondern auch der Wohlstand Westeuropas auf dem Spiel steht. Da ist die Klimakrise noch gar nicht eingerechnet.
[siehe auch eine ausführliche Doku von Reuters mit Gesprächen mit TOP-Beamten und ehemaligen Trump-Mitarbeitern vom 18.12.2023]
Die bisherigen Eifersüchteleien unter europäischen Ländern dürften sich sehr bald als ein dummer ‚Luxus‘ erweisen, den man sich absolut nicht leisten kann, eigentlich jetzt schon nicht. Die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich allein im Bereich Rüstung und Luftfahrt sind aberwitzig, anachronistisch, selbstzerstörerisch. Wenn sich dann noch eine reformunfähige europäische Union ihrer inneren Feinde und Trittbrettfahrer von Putins Gnaden wie Orbàn und Fico nicht zu erwehren weiß, ihnen vielmehr immer mehr Spielraum lässt, und darüber hinaus durch ihre praktische Politik weiteren Anlass gibt für das Erstarken rechtsextremer Parteien und Kräfte, dann ist es mit der selbstgewissen Arroganz europäischer Kleinstaaten schnell vorbei.
Jedenfalls sind wir in Europa in keiner Weise vorbereitet auf Entwicklungen, wie sie in der Realität mit der russischen Aggression gegen die Ukraine und weiter Richtung Westen (Polen, Baltikum) gegeben sind, wie sie die blutige Lage in Israel und Gaza zeigt – und wie sie sich möglicherweise und leider nicht unwahrscheinlich in den USA mit den nächsten Präsidentschaftswahlen abzeichnen. Es spricht viel dafür: Trump, erneut ins Präsidentenamt gewählt, dürfte diese Macht nie wieder aus den Händen geben. Dann werden die Fragen der Klimapolitik durch noch existenziellere Probleme (Krieg oder Frieden) in den Hintergrund gedrängt werden. Dies wäre dann das ultimative worst case Szenario.
[siehe Söhnke Neitzel, Sind wir „kriegstüchtig“? FAS 10.12.2023 – Knappe Antwort: Nein.]
Abwarten und hoffen, das es schon nicht so schlimm kommen werde, ist keine politische Haltung, keine erfolgversprechende Strategie. Eine Regierung, die sich dieser Zusammenhänge bewusst ist, muss erst noch gefunden werden. Wir müssen uns wohl insgesamt auf harte Zeiten – politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch, klimatisch – vorbereiten.
Als PDF downloaden.
.art