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>Zeitgeist von gestern?

>Neulich hörte ich ein kleines Gespräch mit. Ich saß draußen in einem um diese Zeit wenig besuchten Biergarten, am Nebentisch unterhielten sich der Wirt, ein junger Mann, der als Bedienung aushalf und von der Sprache her gesehen offensichtlich kein Hiesiger war, und eine junge Frau. Der junge kess gestylte Mann flirtete ein wenig mit der jungen Frau; er schien sehr lebhaft und selbstbewusst zu sein, jedenfalls trat er so auf. Der muntere Wortwechsel der beiden führte zu der (rhetorischen) Frage des Jungen: „Hast du etwa vor mir Angst?“ – „Kein Deutscher hat jemals vor einem Pollacken Angst!“ fuhr der Wirt mit einem Grinsen im Allgäuer Dialekt dazwischen. „Außer beim Auto!“ ergänzte die junge Frau. Alle drei lachten. Der Wirt war vielleicht 50 Jahre, also Kriegserfahrungen hatte er ganz bestimmt nicht.

Als ich mein Glas geleert und mich wieder auf den Heimweg gemacht hatte, ging mir dieser kleine Wortwechsel immer noch durch den Kopf. Was war das nun? Ja, es war wirklich witzig gewesen, schlagfertig auf jeden Fall, ein Spaß, nicht ernst zu nehmen. Andererseits kamen da doch Einstellungen zum Ausdruck, die zumindest nicht der political correctness entsprachen. Klar, der junge Mann war wohl seiner Herkunft nach ein Pole. Aber wenn man heute Polen als Pollacken bezeichnet, also einen Begriff verwendet, der deutlich verächtlich gemeint ist und von den Nazis zur Bezeichnung der angeblichen slawischen Minderwertigkeit propagandistisch benutzt wurde, dann gibt das schon zu denken, zumal von einem Angehörigen einer Generation, die weder die Nazizeit noch den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hat. Offenbar werden solche Einstellungen und Vorurteile über Generationen hinweg weiter transportiert und bleiben im „Volksgedächtnis“ (!?) haften und virulent. Jetzt leben polnische Bürger als EU-Mitbürger unter uns – und da verbinden sich dann mit den alten Vorurteilen die neuen Erfahrungen: Polen stehlen unsere Autos. Dies klingt wie ein weiteres Vorurteil, und ist es auch, sofern es undifferenziert von „den Polen“ spricht, es ist aber leider mehr als das. Vor wenigen Tagen waren Berichte über die Kriminalstatistik zu lesen unter der Überschrift: „Mehr Auto-Klau durch Schengen. Besonders die „grenznahen Regionen zu Polen und Tschechien“ werden im Vorspann genannt. Bei T-Online kann man über die „gemeinen Tricks der Autodiebe“ lesen, wieder mit Verweis auf Polen und Tschechien. Offenbar ist da etwas dran, so dass der ironische Einwurf der jungen Frau durchaus mehr war als nur die Reproduktion eines Vorurteils. Aber in der intendierten Verallgemeinerung (alle Polen sind Autodiebe) steckt dann doch ein Vorurteil, das in Kombination mit dem „alten“ Vorurteil „Pollacken“ ein wunderbares neues Bild produziert. Und solche Bilder sind der Stoff, aus dem Vorurteile und Ressentiments sich nähren.

In dem kurzen Gespräch, das ich mitbekam, war es allen Beteiligten klar, dass es „nur Spaß“ war. Das beruhigt – aber doch nicht ganz. Denn aus Spaß kann Ernst werden. Wir haben es in Deutschland schon oft erlebt. Solange allerdings der Verspottete mit dabei ist und selber seine Späße macht, bleibt es harmlos; dann ist es vielleicht sogar ein Zeichen unverkrampfter Freiheit im Biergarten. Und die möchten wir doch wohl nicht missen! Political correctness hat eben doch meist viel zu viel mit – Krampf und Unaufrichtigkeit zu tun. Dann lieber ein offenes Wort!