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Daten digital facebook

>Trau keinem Facebook – Freund — ?

>Unter diesem Titel (ohne das Fragezeichen) ist in der Wochenendausgabe der FAZ vom 16.04.2011 ein Auszug aus dem Buch „Die Datenfresser“ von Constanze Kurz und Frank Rieger, das in diesen Tagen im S. Fischer Verlag erscheint, veröffentlicht (und einen Tag später auch einen weiteren Auszug in FAZ.NET): sehr gut erklärend, sehr sachlich urteilend, ohne jede Hysterie gegenüber irgendwelchen allseits so beliebten „Datenkraken“. Im letzten Absatz der Vor-Veröffentlichung heißt es: „Der wichtigste Schritt zur Rückeroberung der eigenen digitalen Mündigkeit ist daher: kritisch hinterfragen, welche Daten über uns wirklich erfasst, preisgegeben und womöglich für die digitale Ewigkeit irgendwo gespeichert werden müssen. Daten sind nicht nur Futter für die Algorithmen, die unser Leben immer weiter bestimmen, sie sind auch Macht über unser eigenes Schicksal. Es aus der Hand zu geben, indem wir alles leichtsinnig und bedenkenlos dem digitalen Gedächtnis anvertrauen, ist sicherlich nicht weise.“

Zwei ergänzende Aspekte möchte ich nennen – vielleicht sind sie ja im Buch berücksichtigt. Einmal ein Blick zurück. Schützenswerte persönliche Daten gibt es nicht erst, seit es Computer gibt. Wer um 1960 herum bei der  „Deutschen Post“ (ein Bundesamt, es gab sogar ein Bundespostministerium) einen Telefonanschluss beantragte, wurde automatisch in das „Öffentliche Fernsprechbuch“ aufgenommen, das, wie der Name sagt, öffentlich war, und zwar sehr öffentlich: Es lag zumindest für die eigene Region in jeder Telefonzelle aus. Jeder Telefonteilnehmer musste darin aufgenommen werden, und zwar mit Vor- und Zunamen sowie voller Anschrift. Ausnahmen davon, etwa bei Prominenten, bedurften besonderer Genehmigung. Das alles hat absolut niemanden aufgeregt, im Gegenteil, es gab unter uns Jugendlichen durchaus einen „Sport“ darin, „geheime Telefonnummern“ ausfindig zu machen. „Unrechtsbewusstsein“: null.

Dieser lockere Umgang mit den persönlichen Daten des Telefonanschlusses änderte sich etwas, als mit dem Personal Computer die Möglichkeit der „Rückwärtssuche“ aufkam. Das war zwar in Deutschland offiziell nicht erlaubt, aber es gab völlig legal CD’s aus Holland mit dem deutschen Telefonbuch zu kaufen, die die Rückwärtssuche (also über die Nummer Namen und Adresse ausfindig machen) zuließen. Da der Telefonbucheintrag inzwischen nicht mehr Pflicht ist und außerdem auf den bloßen Nachnamen beschränkt werden kann, hat sich dieser Fall der „Datenschnüffelei“ von selbst erledigt.

Noch etwas anderes war in der Zeit des nur „analogen“ Telefonanschlusses bei der Post möglich: das Mithören am Schaltkasten. In Spielfilmen jener Zeit kam dieses Mittel der durch das Fernmeldegeheimnis zwar verbotenen, aber technisch völlig leicht möglichen Praxis zu Hauf vor, sei es als Mittel der „Guten“ (= Polizei), sei es als infames Werk der „Bösen“ ( = Gangster). Ich erinnere mich an einen Kumpel jener Zeit, der eine Ausbildung bei der Post machte, Fernmeldewesen, und der davon erzählte, dass man gerne einmal, wenn der Meister bzw. Ingenieur, weg war, sich einen „Spaß“ machte und am Schaltkasten draußen an der Straße in das eine oder andere Ferngespräch hinein hörte – eine klassische „man in the middle“ – Attacke. Als „Datenschutz“ gab es nur das Vertrauen, das man haben musste, dass schon niemand von dieser leichten Möglichkeit unrühmlichen Gebrauch machen würde. Es war aber nie ein öffentliches Thema und hat niemanden aufgeregt.

Datenschutzgesetze gibt es erst ab den siebziger Jahren, zuerst übrigens im Land Hessen. Aber so richtig zum gesellschaftlichen Thema wurde es erst mit der Volkszählung und dem dazu ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 1983. Das darin umschriebene „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ musste dann in der weiteren Gesetzgebung und Rechtsprechung Gestalt gewinnen, so wie es für das gerade beginnende Computer-Zeitalter angemessen war. Seit dem gibt es zu Recht Datenschutzgesetze für den Bürger (leider oftmals immer noch praktiziert als Datenschutz der Behörden gegenüber dem Bürger…), aber auch eine zunehmende Datenschutz-Hysterie. Das Thema ist immer wieder „in“ und eignet sich für Gruppen und Grüppchen ausgezeichnet dazu, irgendwelche politischen Interessen zu verbrämen, vor allem sich lauthals zu entrüsten. Eine besondere Note erhielt der „Streit“ um facebook, als die Verbraucherministerin Ilse Aigner im vorigen Jahr damit drohte, facebook nicht mehr zu benutzen oder gar ein entsprechendes, Google gleich mit bedrohendes Gesetz vorzubereiten. Dabei werden dem „Datenkraken“ (CCC) Facebook alle Daten seiner Mitglieder freiwillig und offenbar auch sehr unbedarft, auf jeden Fall sehr gerne und bereitwillig zur Verfügung gestellt. Da müsste der Datenschutz also beim bzw. durch den Nutzer selber anfangen! Genau auf diesen verantwortlichen Umgang mit den eigenen Daten weisen Kurz und Rieger völlig zu Recht hin.

Noch eine Überlegung zur „Macht des Schicksals“: Was ist eigentlich, wenn die Internetnutzer sterben? Leben deren Daten dann ewig weiter, sozusagen eine „digitale Ewigkeit“, wie Kurz / Rieger formulieren? Kein Spaß – im Ernst. Noch ist das kaum ein Problem, da das Internet und seine Nutzer noch jung sind. Das wird sich in 60 Jahren aber ändern, wenn die erste „Internet-Generation“ ins Sterbealter kommt. Kostenpflichtige Accounts (Email, Webspace, Handy) werden spätestens dann beendet, wenn nichts mehr bezahlt wird; es muss künftig also mehr abgemeldet werden als Strom und Wasser, wenn einer „abgemeldet“ ist. Dann sind die Datensätze der Verstorbenen aber bei Facebook, Google, Yahoo, Twitter, – bei Visa und Mastercard und allen weiteren „Daten-Dienstleistern“ und „Daten-Profilern“ noch immer da, verknüpft und vernetzt für immer … – wohl kaum. Spätestens dann, wenn die Datensammlungen mehr Datenleichen als Daten von Lebenden enthalten (in Deutschland dürfte das spätestens ab 2090 der Fall sein, denn die Zahl der Social-Web-Toten wächst nach der ersten Generation kontinuierlich) werden sich auch die Datensammler und Datenhändler etwas einfallen lassen müssen, wie sie die „toten“ Daten und ihre Verlinkungen aus den Systemen heraus bekommen. Wem soll das Verkaufsverhalten eines Kunden aus dem Jahr 2011 in 50 Jahren noch nützen?  Daten eines älteren Menschen wie mir sind dann jedenfalls nur noch „Dateileichen“ … 🙂