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Abgefahrene Wissenschaft

Die Aufregung über die Rede vom „intelligent design“ hat sich hierzulande nach wenigen Jahren gelegt. Nicht so in manchen Bereichen der Religionswissenschaft und der (katholischen) Philosophie. Da sind Emergenz-Theorien sehr beliebt. Selbst der „heilige Thomas“ wird gegen die Neurobiologen bemüht.

Der Zug für Gottesbeweise sollte seit Immanuel Kant eigentlich abgefahren sein. Zumindest dürfte es sich seit dem großen Kritiker nicht mehr so leicht über Metaphysik, Religion und Wahrheitsaussagen über Transzendenz spekulieren lassen. Transzendental, Kants erkenntnistheoretischer Leitbegriff, ist eben nicht die Erkenntnis des Jenseitigen, sondern die Klärung der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt. Die ist durch Zeit und Raum als „Formen der Anschauung“ bestimmt und begrenzt. Nur zur Erinnerung. Man mag das heute anders und moderner formulieren, aber diese Einsicht bestimmt seitdem unseren Begriff von Wissenschaft und dem, was menschliche Erkenntnis an Wahrheitsgehalt leisten kann. Dass über diesen Bereich hinaus für den Einzelnen persönlich noch Weiteres für wahr und wirklich angesehen werden und gelten kann (Glauben, Religion, Metaphysik), bleibt unbestritten. Nur allgemein verständlich und allgemein verbindlich, also intersubjektiv kommunizierbar im Sinne wissenschaftlicher Klarheit und Bestimmtheit ist dieser Bereich subjektiver „Wahrheiten“ nicht.

Für die kirchlichen Theologien eine unbefriedigende Situation. Kein Wunder, dass sie sich nach Phasen der Akzeptanz dieses neuzeitlichen Ausgangspunktes des Denkens (-> „existentiale Interpretation“ im Protestantismus) immer wieder bemüht, dem Gegenstandsbereich religiöser Vorstellungen und theologischen Denkens doch wieder einen „objektiven“ Charakter zu verleihen. Derzeit ist das wieder sehr in Mode. Gerne geschieht das unter dem Dach der „Religionswissenschaften“ (der Begriff  Theologie scheint kirchlich vereinnahmt und insofern belastet), die dann mit dem Anspruch wissenschaftlicher Exaktheit gegen meist naturwissenschaftliche Kritiker antreten. Zwei Richtungen fallen mir da auf:  die Lehre (ja, man muss das wohl so nennen) vom „intelligent design“ und die Emergenz-Theorien. Erstere finden sich vor allem in den evangelikalen Kreisen der USA (siehe die umfangreiche Sammlung von englisch sprachigen Webseiten zu dem Thema, z.B. http://www.intelligentdesign.org/, auch vom Wiener Kardinal Schönborn verteidigt), oft vertreten als die vermeintlich anspruchsvollere Variante des Kreationismus. – Letztere Emergenz-Theorien finden sich zwar auch im angelsächsischen Bereich, dort besonders innerhalb der Evolutionsforschung (vgl. Lewes und Morgan, siehe zur Übersicht den Wikipedia-Artikel zum Thema Emergenz), aber neuerdings wieder lebhaft im deutschsprachigen Bereich philosophischer Diskussion, vorwiegend katholischer Provenienz. Die Fragestellung wird dann als Kritik des (naturwissenschaftlichen, speziell neurobiologischen ) „Reduktionismus“ im Themenzusammenhang des „Leib-Seele-Problems“ verhandelt. Eine gute Übersicht gibt dazu der Sammelband „Die Aktualität des Seelenbegriffs“, herausgegeben von Georg Gasser und Josef Quitterer (Christlich-philosophisches Institut der Kath. Fakultät der Uni Innsbruck), 2010. In den darin enthaltenen Aufsätzen versuchen Dieter Sturma, Tobias Kläden und Josef Quitterer die „naturalistische Engführung“ durch eine Neuaufnahme des aristotelischen Hylemorphismus bzw. einer Repristination der thomistischen Anima-forma-corporis – Lehre zu überwinden. Bei allen Genannten spielen die „Lücken“ biologischer Erklärungsmodelle eine wesentliche Rolle. „Emergenz“ wird dann zum Schlüsselbegriff (so bei Franz Mechsner) einer ontologischen Bestimmung der qualitativen evolutionären Sprünge, die in der Entwicklung vom Einzeller zum Menschen festgestellt werden. Diese theoretischen Versuche sind durchaus anregend zu lesen, weil sich die Autoren meist die Mühe machen, zumindest den naturwissenschaftlichen Gesprächspartner ernst zu nehmen. Ob sie wirklich genau genug zuhören, ist eine andere Frage.

Das Modell der „Emergenzen“ ist aber nicht nur hier zum beliebten Schlüsselwort geworden. Es erscheint als elegant formulierter und erkenntnistheoretisch maskierter Ersatzbegriff für den traditionellen „Lückenbüßer“: Das, was naturwissenschaftlich-„reduktionistisch“ nicht vollends erklärt werden kann (und welche naturwissenschaftliche Theorie wäre nicht vorläufig und stünde nicht ständig auf dem empirisch-experimentellen Prüfstand?), wird flugs zum Einfallstor neo-metaphysischer oder theologischer Theoriebildung. So jedenfalls klingt es, wenn in dem wissenschaftlichen (!) Internet-Portal SciLogs in einer Buchvorstellung fröhlich ausgeführt wird:

Dass hierbei immer wieder vermeintliche Grenzen überschritten und vermeintlich feste Gesetze in neue Dimensionen hinein erweitert wurden, lässt sich kaum mehr leugnen und durchaus als Transzendenzgeschehen (von lateinisch transcendere = überschreiten) beschreiben. Und schon weil wir überhaupt nicht vorhersagen können, welche weiteren Systeme sich bilden und welche Eigenschaften diese hervorbringen werden, ist erkenntnistheoretische Demut angemessen. Ob schließlich doch nur ein Nichts oder eine Gottesschau der sich selbst in immer weiteren Verbindungen verwirklichenden Materie im Sinne etwa Teilhard de Chardins steht, kann nur geglaubt, nicht aber abschließend geklärt werden. (Michael Blume auf SciLog)

So kommt man von der vorsichtigeren Formulierung der Problemstellung „Religion und Evolution“ schnell zu der viel engeren Aussage „Evolution der Offenbarung“ (so der Titel des besprochenen Buchers von von Ulrich Lüke und Georg Souvignier). Klar, Teilhard de Chardin lässt grüßen. Aber auch andere wie Patrick Spät propagieren einen „graduellen Panpsychismus“, ebenfalls bei SciLog vorgestellt. Wem das als Stichwort zu abenteuerlich erscheint, lese selber nach. Klar, es darf keine Denkverbote geben, aber den Anspruch klarer Distinktion und sauberer Argumentation muss man doch in jedem Falle stellen, wenn derartige Diskussionsbeiträge über den engeren kirchlichen Rahmen hinaus ernst genommen werden wollen. Sonst nämlich sind sie das, als was sie auf den ersten Blick stark aussehen: reine Apologien, also nur eine modernistisch verkleidete Verteidigung traditioneller Denkkonzepte (der heilige Aquinate!). Emergenz – das gibts in der Evolution – da schaut doch klar der Herrgott hervor!

Ernst genommen werden sollte ohne Wenn und Aber die sehr prägnante begriffliche Klärung, wie sie Ansgar Beckermann (Philosoph an der Uni Bielefeld) in seinem Studienbuch „Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung in die Philosophie des Geistes“ (2011) zu den Bestimmungen „reduktionistisch“, „monistisch“ und „dualistisch“ vornimmt. Hinter diese Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen sollte die heutige Diskussion nicht mehr zurück fallen. Wenn einzelne Definitionen zu eng oder voraussetzungsvoll befunden werden, dann sollte eine Kritik zumindest ebenso sachlich genau und definitorisch distinkt sein bei dem, was als Alternative vorgeschlagen wird. Dies muss man leider immer wieder vermissen.

Ein letzter Hinweis auf einen Artikel (ebenfalls bei SciLog), der eigentlich sehr gut und knapp formuliert, was Religionswissenschaft, Theologie, Philosophie und Psychologie nicht mehr ohne weiteres hintergehen können: nämlich den einfachen Satz „Ohne Hirn ist alles nichts“. Christian Hoppe erklärt im Anschluss an eine längeren Diskussion sehr schön, worauf es sachlich und begrifflich bei der Diskussion des Leib-Seele-Problems oder einer theory of mind bzw. dem Erklärungsanspruch der Neurowissenschaften ankommt. Es mag einem Geisteswissenschaftler nicht gefallen, aber daran vorbei sollte man sich nicht drücken. In jedem Falle sollte eine neue „Lückenbüßer-Theorie“, die Gott und das Transzendete in den Emergenzen sichtet oder gar zur Voraussetzung der Evolution erklärt, vermieden werden. Sie hat schon allzu oft versagt, weil sie stets nur bis zur nächsten naturwissenschaftlichen Entdeckung gilt. Die solcherart religionswissenschaftlich bemühte „Emergenz-Theorie“ ist doch nur neuer Wein in alten Schläuchen – oder noch anders gesagt, eine intellektuell elegante Form der einfacheren Rede vom „intelligent design“.