Die wachsende Bedeutung von Online-Zeitungen, Blogs und Foren stellt die Frage nach der Zukunft der Zeitungswelt. Nicht „print“ oder „online“ ist da die Alternative, sondern ein flexibles, leicht zugängliches und nach Nutzerverhalten differenziertes Online-Angebot auch von Bezahlmodellen ist hier gefragt.
Das Ende der Printmedien wird immer wieder beschworen. Gedacht ist da in erster Linie an die Tages- und Wochenzeitungen. Magazine und Zeitschriften insbesondere zu speziellen Freizeit- oder Gruppenthemen (Lifestyle, Wellness, Outdoor, Computer, Motor, Sport) erfreuen sich offenbar uneingeschränkter Beliebtheit. Aber den Tageszeitungen wird der baldige online bedingte Garaus angekündigt. Journalisten würden von News-Aggregatoren und Newsrobots kannibalisiert, so zuletzt +Christian Sickendieck, aber man liest diese Meinung immer wieder, als wäre es in der Internet-Szene common sense. Einerseits wird der Bedarf an professionellem Journalismus wegen zahlreicher Blogs, Foren und Communities bestritten, andererseits wird das Fehlen eines „guten“ Journalismus beklagt. Offen bleibt dabei bisweilen, ob dabei „gut“ mit „meiner Meinung“ gleich gesetzt wird. Zumindest werde sich das Printgeschäft wirtschaftlich bald nicht mehr tragen, da man alle Nachrichten auch anderswo online frei lesen könne. Ich kann dem so nicht folgen.
Zu bestimmen wäre zuerst die Funktion eines „guten“ Journalismus, ich würde lieber von „qualitativ hochwertig“ sprechen. Das bedeutet: fachlich fundiert, parteipolitisch unabhängig, wirtschaftlich nicht erpressbar, fähig zu eingehender Recherche, begründeter eigener Meinung, Übersicht über Zusammenhänge, mit möglichst „fachfremder“ und internationaler Erfahrung, stilistisch sicher und versiert. Viele Journalistinnen und Journalisten, auf die diese Charakterisierung zutrifft, finde ich bei den überregionalen Tageszeitungen, aber sicher auch bei regionalen Zeitungen. Der Bedarf für diesen qualitativ hochwertigen Journalismus ist offenkundig, zumal Fernsehsendungen (z.B. Talkshows) und auch Online-Beiträge (Blogs, G+) oft eher plakativ, polarisierend und thematisch weniger differenziert sind. Die ziemlich stabile Auflagenstärke der großen Tageszeitungen belegt das. Problematisch ist bei den Tages- und Wochenzeitungen eher das stark einbrechende Anzeigengeschäft, das ehedem das redaktionelle Standbein wesentlich finanziert hat. Die Frage ist weniger,ob wir in Zeiten des Web 2.0 noch guten Journalismus brauchen (klar, eher mehr als weniger, der Bedarf ist aus dem „Erbe“ der Printmedien da), sondern wie er sich organisiert und finanziert. Freizeitblogger, die ihren Job ernst nehmen, tendieren oft ebenfalls zur haupt- oder zumindest nebenerwerblichen Tätigkeit, und stehen dann vor dem selben Problem: der Finanzierung. Bisher, so liest man aus Verlagsnachrichten, hat die Online-Werbung das Volumen der früheren Print-Werbung noch lange nicht wett machen können.
Richtig ist, dass für eine längere Zeit „print“ und „online“ Zeitungen keine Alternative, sondern Ergänzungen sind. Kostenlose Online-Ausgaben der Zeitungen haben sich bei uns zunehmend etabliert und versuchen, ihren „Werbekuchen“ zu vergrößern; gerade dafür bietet das Web 2.0 beste Voraussetzungen (zielgenau, local based etc.). Online-Ausgaben sind eher auf aktuelle Nachrichten orientiert und weniger auf Hintergrundinformationen und Analysen. Gerade diese redaktionelle Arbeit aber ist kostentreibend, personalintensiv und je nach Thema oft nur für eine kleine Zielgruppe relevant. Man kanns beklagen, aber de facto werden Berichterstattung und Analysen aus Regionen und Themen, die derzeit nicht im Brennpunkt der Weltöffentlichkeit stehen, eher weniger nachgefragt. Gerade diese Berichte sind vielen Zeitungslesern aber nach wie vor wichtig.
Daher komme ich zu meinem letzten Gedanken: Ein wesentlicher Punkt bleibt die Alternative kostenfrei – kostenpflichtig. Viele sind wie ich gerne bereit, für einen ausführlichen redaktionellen Teil der Tageszeitungen zu bezahlen. Bisher sieht das so aus, dass die überregionalen Tages- und Wochenzeitungen ihre Printausgaben als „ePaper“ anbieten, immer noch nicht alle (wie bedauerlicherweise die FAZ) als tägliche Einzelausgabe. Dies sollte zumindest von allen Zeitungen sowohl fürs Web als auch fürs mobile Lesen (Smartphone, Tablet, eBook) zur Verfügung stehen. Auch dies ist noch nicht überall gewährleistet, da besteht deutlicher Nachholbedarf. Dass Zeitungen hier die Wende zur Online-Welt bisher eher zögerlich angehen oder gar verschlafen haben, gehört nicht zum Ruhmesblatt der Verlage.
Es fehlt der Mut, neue Modelle des Vertriebs von „Premium-Inhalten“ anzubieten. Warum sollte man sich da an den bisherigen Möglichkeiten der Printausgaben fest klammern? Artikel-Abos, thematische Abos, kostengünstiger und bequemer Einzelabruf von Artikeln (ein Artikelpreis von € 2 bei Kosten für die Einzelausgabe von € 2,20 ist unverhältnismäßig) bzw. Autoren, all dies ist denkbar, wird teilweise andernorts schon probiert. Es könnte auch hier den Zeitungsmarkt fit machen für die Online-Welt. Ob Verlage dazu gleich „future labs“ benötigen, sei einmal dahin gestellt. Viel wichtiger wäre es, wenn die Zeitungsverlage die Online-Welt ernster nähmen und als Chance begriffen, statt sich abwehrend und ablehnend zu verhalten (siehe DRM oder das unsinnige Leistungsschutzgesetz) wie einst die Musikindustrie. Phantasie aber und Mut zu neuen Vertriebs- und Angebotswegen ist nötig und wäre wünschenswert. Wenn ich mich über Zeitungen ärgere, dann deswegen, weil es „die Großen“ immer noch nicht für nötig halten, schneller und gezielter auf die sich vollziehenden Änderungen im Nutzerverhalten der Zeitungsleser zu reagieren. Ich möchte beispielsweise nicht täglich die Printausgabe (gerne als ePaper) immer derselben Tageszeitung lesen, sondern wechseln und auswählen können. Warum ist online zu kaufen immer noch nicht möglich, was ein gut sortierter Bahnhofskiosk an Printmedien bietet? Das wäre doch das Mindeste, was umzusetzen wäre, und wie gesagt: Da sind noch manche Alternativen, die eher auf die Online-Medien zugeschnitten sind, denkbar und machbar – und wünschenswert. Denn der Bedarf auch an kostenpflichtigen Inhalten ist da, wenn das Angebot preiswert und flexibel ist.
UPDATE [19. Juni]
Thomas Knüwer bestätigt zwar einerseits meinen Befund über das verbreitete (Vor-) Urteil der Netzwelt, es handele sich um „die sterbende Industrie der Zeitungsverlage“ („Tageszeitungen sterben, das ist sicher“), die mittels LSR eine Art „Kohlepfennig“ erhalten solle, seine detaillierte Kritik am Leistungsschutzrecht halte ich ansonsten aber für informativ und richtig.
UPDATE [26. Juni]
Dagegen entlarvt CARTA-Autor Wolfgang Michal den „Mythos von den angeblich innovationsunfähigen Verlagen“ – lesenswert. Die Antwort dazu von Thomas Knüwer ebenfalls – und die inzwischen ausgedehnte Diskussion unter dem CARTA-Artikel! Auch auf das Gespräch mit Constantin Seibt vom Tages-Anzeiger (CH) sei zur Sache hingewiesen.